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Frank Abdullah Bubenheim (Deutschland) - Mein Lehrer war ein deutscher Muslim

Frank Abdullah Bubenheim (Deutschland) - Mein Lehrer war ein deutscher Muslim
Einmal, als ich noch zur Grundschule ging, störte mich in dem Lesebuch die Überschrift einer Geschichte mit dem Titel ,,Das Muttergottesgläschen“. Ich konnte mir in meinem kindlichen Gemüt nicht vorstellen, dass Gott, der doch Schöpfer und Anfang aller Dinge ist, und vor Dem es niemanden gab, eine ,,Mutter“ haben sollte. So strich ich die Überschrift ärgerlich durch. Heute weiß ich, dass ich damals aus natürlicher Anlage zum rechten Glauben, dem Monotheismus, handelte. Gott selbst sagt dazu im Qurân:

„So richte dein Gesicht aufrichtig zur Religion hin als Anhänger des rechten Glaubens, - (gemäß) der natürlichen Anlage Allahs, in der Er die Menschen er schaffen hat. Keine Abänderung gibt es für die Schöpfung Allahs. Das ist die richtige Religion. Aber die meisten Menschen wissen nicht.“ (Sûra 30:30)

Das macht das Wort des Propheten Muhammad
 möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken noch deutlicher: ,,Es gibt kein Neugeborenes, das nicht mit der Naturanlage (zum Islâm) geboren wird, doch seine Eltern machen es zum Juden, Christen oder Zoroastrier.“ (Überliefert von Al-Buchârî und Muslim.)

Ich glaubte damals noch an das ,,Christkind“, bis einer meiner Spielkameraden mich in den Tagen vor Weinachten darauf aufmerksam machte, dass der Weihnachtsbaum, den, wie ich geglaubt hatte, das Christkind in der ,,Heiligen Nacht“ brachte, auf unserem Balkon stand, weil ihn meine Eltern, und nicht das Christkind, vom Markt besorgt hatten. Auch sagte mir mein Freund: ,,Es gibt keine Engel. Oder kannst du sie etwa sehen?“ In der Vorweihnachtszeit hätten viele Engel geschäftlich unterwegs sein müssen. Doch warum waren keine zu sehen?

Also war auch das nur eine Erfindung der Erwachsenen. So erlitt mein kindlicher Glaube einen schweren Schlag; ich begann zu zweifeln und wurde innerlich zum Atheisten, blieb aber äußerlich ein Christ. Das Spiel, das die Erwachsenen ihren Kindern mit dem Christkind und dem Nikolaus vorgaukeln, um ihnen eine Freude zu machen, bewirkte so in meinem Fall und Wohl auch in vielen anderen bei der Aufdeckung des Schwindels den Abfall vom Glauben. Später wurde mir dann klar, dass die Ursache für diese Widersprüche nicht darin liegt, dass es keinen Gott und keine Engel gibt, sondern darin, das die Christen ein falsches Bild von Gott und den himmlischen Wesen geben: Suchen wir nach Gott als einem ehrwürdigen alten Mann mit langem weißen Bart, der im Himmel auf einem Thron sitzt, so werden wir ihn trotz Suche der Astronauten und Radioteleskope nicht finden.

Vom Islâm wusste ich damals kaum etwas, außer dem Wenigen, das ich im Geschichtsunterricht darüber hörte, und was mir meine Mutter über Afghanistan erzählte, wo sie während des Zweiten Weltkrieges als Lehrerin an der deutschen Schule in Kabul tätig gewesen war. Als ich einmal Bilder von islâmischen Bauwerken in Spanien sah, sagte ich mir: Welche hoch stehende Kultur muss wohl das Volk gehabt haben, das diese herrlichen Bauwerke errichtete zu einer Zeit, als im übrigen Europa noch in grobem, schwerfälligem Stil gebaut wurde.

In der Religion war ich ein Mitläufer dem Namen nach wie so viele andere, und als mit dem vierzehnten Lebensjahr die Zeit für die Konfirmation kam, drängte mich meine Mutter in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Kirche dazu, auf die Konfirmation zu verzichten, wenn mich der für unsere Gemeinde zuständige Pfarrer nicht daraufhin ansprach. Mir persönlich war das nur recht, weil mir die Konfirmation und die damit zusammenhängende Prüfung samt Vorbereitungsunterricht lästig erschienen.

Eine Wandlung trat erst ein, als mich mit fünfzehn Jahren ein Buch über Yoga auf die Welt der übersinnlichen Kräfte und die Yogaphilosophie stieß. Angesichts des Auftretens übersinnlicher Erscheinungen wie Telepathie, Gedankenübertragung, Hypnose und Geisterbeschwörung, so sagte ich mir, sei es nicht auszuschließen, dass es doch Kräfte und Wesen gebe, die wir nicht unmittelbar wahrnehmen können, so wie wir z. B. Radiowellen mit unseren Sinnen ja auch nicht wahrnehmen können. Auch hat jedes Geschehen im Universum seine Ursachen, jede Wirkung hat ihre Ursache, und nach dem Kausalitätsgesetz kann nichts geschehen, ohne dass eine Ursache dieses Geschehnis in Gang setzt. Demnach kann also die Entwicklung vom Urnebel im Weltall, die zur Entstehung der Erde und schließlich der Lebewesen führte, nicht von selbst ihren Anfang genommen haben, sondern es muss ein allwissender Schöpfer dahinterstecken, den wir mit unseren Sinnen nicht unmittelbar wahrnehmen können, weil er aus anderer Substanz besteht als wir.

So wie wir das Ergebnis z. B. einer chemischen Reaktion oder den Verlauf einer Geschoßbahn vorauswissen können, so muss dieser Schöpfer in viel ungeheurerem Ausmaße alle noch so komplizierten Abläufe und Geschehnisse genauestens vorausgewusst haben, so dass nichts dem Zufall überlassen blieb. Viel weiter kam ich damals mit meinen Erkenntnissen noch nicht, doch war mein Glaube an die Existenz des Schöpfers wiedergewonnen.

Ich las damals auch einige Karl-May-Bücher, deren Inhalt sich mit den abenteuerlichen Reisen ,,Kara Ben Nemsis“ im Vorderen Orient beschäftigte, und gewann dadurch einiges Interesse am Orient und am Islâm. Ferner las ich ein Buch über die Islâmische Kunst.

Sodann kaufte ich mir eine Übersetzung der ungekürzten Gesamtausgabe der ,,Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht“. Unter den Geschichten gab es nicht nur Märchen und Liebesromane, sondern auch Anekdoten von Persönlichkeiten aus der islâmischen Geschichte sowie die Erzählung von einer gebildeten Sklavin, der schwierige Fragen aus den verschiedenen islâmischen Wissenschaften, wie Qurân-Erklärung, Glaubenslehre, Recht u. dergleichen, gestellt wurden. Dies und die in den Erzählungen vorkommenden Qurân-Zitate machten mich begierig, mehr über den Islâm zu erfahren.

Im Winter 1970 machte ich mit meinem Vater zusammen eine Reise nach Sousse in Tunesien, wo ich zum ersten Mal eine Moschee betrat. Damals war mein Bild von der Islâmischen Welt noch zu sehr mit Klischees behaftet, als dass ich die Wirklichkeit klar hätte sehen können. Mir wurde der Mangel der Kenntnis des Arabischen dort bewusst. Um die Qurân-Zitate aus ,,Tausendundeiner Nacht“ besser verstehen zu können, kaufte ich mir eine der deutschen Übersetzungen der Bedeutung des Qurân. Ich muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass eine Übersetzung niemals als Qurân selbst gilt und besser auch nicht so genannt werden sollte.

Ich war damals auf der Suche nach einem Weg, einem Leitfaden, einem Gesetz für mein tägliches Leben, auch wenn mir das wohl nicht voll bewusst wurde. Weder die christliche Religion in ihrer heutigen Form noch das Leben in Gottlosigkeit konnten mir geben, wonach es mich verlangte. Bei der Lektüre des Qurân merkte ich, dass er Anweisungen für das Verhalten im täglichen Leben gab, und dass eine gewisse Kraft und Entschiedenheit von dieser Religion ausging, die ich im Christentum vermisste.

Anfangs hatte man uns im Religionsunterricht Kirchenlieder auswendig lernen lassen, später beschäftigten wir uns mit Kirchengeschichten und Bibeltexten. Unser Religionslehrer erwähnte damals, es habe im Urchristentum eine Richtung gegeben, die in Jesus
 Frieden sei auf ihm einen Menschen und Propheten sah, nicht einen Gott oder Gottessohn, aber von den anderen Richtungen und vor allem der offiziellen Kirche später unterdrückt und erbarmungslos ausgemerzt wurde. Nach islâmischer Ansicht war diese Richtung, die die Menschlichkeit, nicht die Göttlichkeit Jesus  Frieden sei auf ihm vertrat, dass die Evangelien erst spät nach Jesus Erscheinen niedergeschrieben worden waren, und dabei auch noch in einer anderen Sprache als der von Jesus  Frieden sei auf ihm , und dass die Texte auseinander gingen und der Urtext verloren sei.

Gerade als ich mich für diese Dinge ernsthaft zu interessieren begann, wandte sich der Religionslehrer dem Sexualunterricht und der Psychologie zu. Ich erblickte darin eine Schwäche und Ratlosigkeit der Kirchenvertreter, dass sie, um die Schüler überhaupt noch für den Religionsunterricht zu interessieren, von der Religion auf andere Gebiete abschweifen zu müssen glaubten. Ich trat daraufhin, mit ungefähr neunzehn Jahren offiziell aus der evangelischen Kirche aus und blieb dem Religionsunterricht fern. Kein Pfarrer versuchte mich in die Kirche zurückzuholen, als ob sie die Hoffnung längst aufgegeben hätten, jemanden für das Christentum zurückgewinnen zu können. Bereits in jenen Tagen nahm ich Stellung für den Islâm und gegen das Christentum, was zeigt, dass mir der Islâm schon damals mehr zusagte. Vielleicht wäre ich schon damals Muslim geworden, hätte sich jemand gefunden, der mich dazu aufgefordert und mir als Vorbild hätte dienen können. Doch Gott, der Erhabene, alleine weiß es am Besten. Die politische Weltanschauung, die ich damals hatte, war absolutistisch, gegen Demokratie und Sozialismus eingestellt, weil ich der Überzeugung war, dass ein Staat nicht ohne starke Führung, ohne Herrscherpersönlichkeit, gedeihen könnte, nur konnte ich keine Lösung finden, wie man sich gegen Abweichung und Machtmissbrauch des Herrschers sichern konnte.

Die vielen Beispiele aus der Geschichte zeigen das Unheil des Machtmissbrauchs bis hinein in die Gegenwart. Der Islâm bietet die Lösung des Problems, indem der Herrscher, der Imâm des islâmischen Staates, wie jeder andere Staatsangehörige auch, dem von Gott offenbarten Gesetz Untertan ist, und der wirkliche Alleinherrscher und Gesetzgeber Gott, der Schöpfer, ist. Nur wusste ich das damals noch nicht.

Als ich erkannte, dass ich den Qurân ohne Kenntnis der arabischen Sprache nicht richtig verstehen konnte, begann ich, allein und ohne Lehrer, nur mit Hilfe von Büchern Arabisch zu lernen. Durch den Lateinunterricht lernte ich den römischen Philosophen L. Annaheus Seneca und seine Werke kennen, und seine stoische Philosophie gab mir in jenem Zeitraum neue Kraft und war mir eine Richtschnur für das tägliche Leben, soweit Philosophie dazu imstande ist. Doch Philosophie baut nicht auf Allgemeingültigkeit und Gewissheit, und so konnte sie dann der Kraft der göttlichen Offenbarung nicht standhalten, als ich Muslim war.

Weil meine Abiturnoten es mir nicht gestatteten, Biologie oder Psychologie zu studieren, wie ich es mir gewünscht hatte, wich ich auf Rechtswissenschaften aus und studierte nebenbei auch noch Orientalistik. Es war dies an der Universität München. Doch schon bald wurde mir klar, dass ich das Rechtsstudium gegenüber der Orientalistik vernachlässigte und eines von beiden aufgeben musste. Ich war damals das erste Mal längere Zeit vom Elternhaus entfernt und hoffte, endlich Kontakt zu anderen zu finden. So suchte ich Anschluss an ein Studentencorps, wo ich jedoch nur als Gast an einigen Veranstaltungen teilnahm.

Als schon die Hälfte des Semesters verstrichen war, sprach mich einmal ein Mitglied der ,,Hare-Krischna-Bewegung“ auf der Straße an, und ich zeigte mich für seine Worte verständig, da die aus Indien stammende Lehre, die er vertrat, Ähnlichkeit mit der Yoga-Philosophie hatte; so gab es eine Verständigungsgrundlage. Ich besuchte ihren ,,Tempel“, ein Haus in der Nähe von München, das ihnen jemand überlassen hatte, und befasste mich mit ihrer Lehre.

Der Islâm hatte mich schon beeinflusst, und so gab es einige Dinge in der Krischna-Lehre, die mir nicht zusagten, wie die Niederwerfung vor Bildern und die Behauptung, dass Krischna eine Inkarnation der Gottheit sei. Krischna, Rama und Vischnu seien alle drei nur verschiedene Verkörperungen ein und derselben Gottheit. War ich mit dem Austritt aus der evangelischen Kirche nicht schon vor der Lehre von der Dreieinigkeit Gottes, bestehend aus Vater, Sohn und Heiligem Geist, weggelaufen?

Als sie mir einmal klar machen wollten, dass Krischna in dem Bild von ihm, das sie an der Wand hängen hatten, tatsächlich gegenwärtig sei, nahm ich ihnen das nicht ab, auch nicht, dass ihre Lehre die Essenz aller Religionen sei. Wer garantiert die Echtheit und unverfälschte Überlieferung ihres heiligen Buches, der Bagavad-Gita? Dagegen waren doch Teile des Qurân noch zu Lebzeiten des Propheten Muhammad
 möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken aufgezeichnet worden, und viele seiner Gefährten hatten den Qurân auswendig gelernt, als dieser dann nicht spät nach dem Tode des Propheten  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken endgültig in seiner Gesamtheit schriftlich fixiert wurde.

Auch war mir das Mönchsleben der Krischna-Brüder zu hart, und mir missfiel die Art, ihren Lebensunterhalt durch Bettelei zu bestreiten. Jedoch bemerkte ich eine Gemeinsamkeit mit dem Islâm: Ihre Kleidung besteht, wie die der Mekka-Pilger, aus zwei einfachen Tüchern, und sie scheren wie diese das Haupt kahl. Doch der Unterschied besteht darin, dass sie diesem zeitlebens tun, die Makka-Pilger aber nur einmal im Jahr für etwa eine Woche. Auch diente ihre Gemeinschaft als Unterschlupf für Ausreißer und solche Jugendliche, die sich wegen Rauschgiftdelikten vor der Polizei zu verstecken suchten, indem sie Frömmigkeit vortäuschten und so bereitwillig in die Gemeinschaft aufgenommen wurden.

Ich blieb unentschlossen, doch das Ende des Semesters und der Wunsch meiner Mutter, mich von dieser Gemeinschaft von Bettelmönchen fernzuhalten, gaben der Angelegenheit eine Wende, indem ich München ganz verließ und in Tübingen Orientalistik ohne Rechtswissenschaften weiterstudierte. Noch in München hatte ich vor meiner Bekanntschaft mit der Krischna-Bewegung einmal daran gedacht, mich mit den dort lebenden Muslimen in Verbindung zu setzen, den Gedanken dann aber doch nicht in die Tat umgesetzt.

Schon bald nach meinem Studienbeginn in Tübingen wurde ich, um nicht ganz allein zu sein, Mitglied in einem Studentencorps, obwohl ich in München vom Corpsleben nicht gerade begeistert gewesen war. Es war dies Anfang Mai 1973. Man sagte mir, ich müsse im Corps nicht unbedingt Bier trinken, wenn ich das nicht wolle, doch konnte ich mich dem nicht lange enthalten in einer Gemeinschaft, zu deren Grundlagen Biertrinken gehört. Anfangs begeisterte ich mich auch für das Corpswesen und –leben und kam gut in der Gemeinschaft zurecht, doch dann begannen die Gegensätze in der Weltanschauung und Lebensart hervorzutreten, und ich fühlte mich in der Corpsgemeinschaft nicht mehr wohl.

War in den letzten Jahren in mir eine religiöse Neigung erwacht, so musste ich feststellen, dass die Corpsbrüder eine Abneigung gegen alles Religiöse besaßen und davon nur mit Spott sprachen. Ihr Wahlspruch lautete: Kirchen von außen, Berge von unten und Kneipen von innen. Dagegen hätte ich meiner bisherigen Lebensart die Lösung geben können: Gotteshäuser von innen, Berge von oben und Kneipen von außen. Die politische Einstellung der meisten Corpsbrüder war nationalistisch; daher betrachteten sie die asiatischen und afrikanischen Völker etwas mit Verachtung. Sie legten sehr viel Wert auf die äußere Erscheinung bei besonderen Gelegenheiten, und so verlangten sie von mir, dass ich zu einer ihrer Veranstaltungen in schwarzem Anzug. Weißem Hemd und Krawatte erscheinen sollte. Ich hatte solche Kleidung noch niemals zuvor getragen und empfand diese Forderung als bedrückend. Nach innen dagegen, wo es die Öffentlichkeit nicht sehen konnte, waren die Corpsbrüder weniger fein und etwas unmoralisch, da die Moral ihre Grundlage in der Religion und der Gottesfurcht hat und beide bei ihnen fehlten.

Bei den Veranstaltungen des Corps lernte ich die Folgen des Biertrinkens erst richtig kennen: das Wertvollste, das der Schöpfer dem Menschen gab, den Verstand, macht der Betrunkene unbrauchbar und wird dann hilfloser, abstoßender als jedes Tier. Er verspricht im Rausch Dinge, die er, wieder in Nüchternheit gelangt, niemals hält, vergeudet die beste Zeit zum Schlafen mit Sauferei und schläft dafür am Tag! Morgens lag der Geruch von verschüttetem Bier in der Luft und irgendwo in einer Ecke ein Betrunkener, der den Weg zum Bett nicht mehr gefunden hatte. Wie widerwärtig war das alles! Anfangs hatte mir das Trinken nicht allzu viel gemacht, doch dann, als es mich anzuwidern begann, musste ich mich jedes Mal erbrechen, wenn ich getrunken hatte, und das erhöhte meine Abscheu nur noch mehr.

Das Corps war ein schlagendes Corps, das heißt, es werden Mensuren oder Duelle mit ,,Korbschlägern“, die eine schmale Klinge besitzen, nach bestimmten Regeln geschlagen. Einmal war ich Zeuge einer solchen Mensur, bei der Blut floss. Doch ich selbst kam nicht mehr zum Schlagen, da ich nicht sehr sportlich war und aus dem Corps ausschied, bevor ich für meine erste Mensur eingeübt war.

Als mein Interesse an den Veranstaltungen des Corps nachließ und mein Widerwille mir bereits anzumerken war, gab es Ärger, und ich wurde für einige Tage suspendiert. Ich spürte, dass der Bruch nicht mehr aufzuhalten war und kam zu der Einsicht, dass es ein Fehler gewesen war, dem Corps beizutreten, das so sehr meiner bisherigen Lebensart widersprach. Auch erkannte ich, dass es nicht genügte, still für mich allein ein bescheidenes und sittsames Leben zu führen, ohne eine feste Regel und einen genauen Weg zu haben. War ich darin ohne Gemeinschaft, so war ich den Einflüssen anderer ausgesetzt, wie in diesem Falle den Corpsbrüdern, die mich schließlich dazu gebracht hatten, Bier zu trinken. Hatte ich bisher nicht schon ein Leben geführt, das der islâmischen Lebensweise nahe kam? Und wäre nur das Alkoholverbot allein ein Verdienst des Islâm, so wäre dies schon Grund genug, diese Religion anzunehmen, nachdem ich gesehen hatte, wohin Alkoholgenuss führt. Doch wo waren die Muslime?

In Tübingen gab es wie in vielen deutschen Städten eine Anzahl von türkischen Gastarbeitern, die einige Räume gemietet und als Moschee eingerichtet hatten. Ich machte den Betraum ausfindig und setzte mich mit den Türken in Verbindung. Das war in den letzten Tagen meines Corpslebens, Anfang Juli 1973.

Die Türken freuten sich sehr, dass ein Deutscher sich für ihre Religion interessierte und Muslim werden wollte, doch helfen konnten sie mir nicht viel. Sie waren ja einfache, ungebildete Arbeiter, keine Gelehrten, und konnten nur wenig Deutsch, und ich meinerseits konnte damals noch nicht Türkisch. So blieb mir nichts anderes übrig, als einen meiner Professoren, die zwar Orientalisten, aber keine Muslime waren, zu fragen.

Ich war erst vor wenigen Tagen vor den Türken zum Islâm übergetreten, als ich meinem Arabischlehrer nach der Vorlesung einige Fragen betreffs des Gebets stellte. Diese Fragen hörte einer der Studenten, der eben im Begriff war, den Saal zu verlassen. Er sprach mich daraufhin an und fragte mich nach meiner Religion. Ich sagte, ich sei Muslim. Da stellte sich heraus, dass auch er ein deutscher Muslim war, der aber schon ein paar Jahre zuvor zum Islâm übergetreten war. Hasan Bauer, so hieß er damals noch, konnte mir mehr helfen als die Türken und wurde so mein Lehrer in der Anfangszeit, der mir die wichtigsten Dinge beibrachte.


Quelle: „Deutsche von Allah geleitet“
Islâmische Bibliothek Verlag
Muhammad Ibn Rassoul

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