Elena Safiyah Shromova (Russland)

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Nahrung für meine Seele
 
„... und dann, als Juri Gagarin voll Ruhm wieder auf der Erde gelandet war, kam eine alte Babushka zu ihm mit der Frage:

‚Mein Sohn, hast du denn Gott im Himmel gesehen?‘“

Ich sehe immer noch, als ob es gerade gestern war, meine Mutter, die in der Küche steht und mir diese bekannte Geschichte erzählt, meine Mutter, die mich dabei anlächelt - ich war 8 oder 9 Jahre alt - das Lächeln über die einfache, kleine, alte Babushka, die bestimmt keine Ahnung davon hatte, dass derjenige, der an Gott glaubte, gar keine Chance hatte, je ein Pionier oder Komsomolze zu werden. Was für eine Schande für die Arme!

So bin ich aufgewachsen. Pioniere, rote Flaggen, Atheismus, Vater Stalin, Vater Lenin, eine endlose Kette von anderen „Vätern“. Ostern... ja, wir hatten doch eine Art Ostern. Wir bemalten Eier und zwar mit Begeisterung, allerdings war es und verboten, dies in der Schule zu erzählen. Der Grund war immer der gleiche: der begehrte Pionierstitel würde dann schwer zu bekommen sein.

Und dann hatte sich alles verändert. Die „Väter“ waren entehrt und das ganze Land hatte sich auf die Suche nach neuen Idolen begeben. Schnelles Geld, Geschäftsleben, westliche Ware.

Freiheit, Freiheit und nochmals Freiheit. Die Kirche gewann langsam an Prestige und Macht. Ein Mafioso mit einer Goldkette dicker als sein Hals, alle möglichen Politiker und sogar der Präsident würden in der Kirche zu einem geeigneten Ereignis nicht fehlen.

Von dieser Zeitspanne kann ich nur sagen, dass mich diese Massen-Kircheneuphorie unberührt ließ. Ja, die Fassade war schöner, attraktiver, moderner geworden, sie gab jedoch keine Antworten auf die ganz einfachen, lebenswichtigen, essentiellen Fragen. Meine Logik weigerte sich, die Idee von Gott, der einen Sohn hat, zu akzeptieren. Zu der Zeit sah ich keinen anderen Weg als das Christentum, so stellte ich die ganze Existenz vom Leben nach dem Tod, vom Lebenssinn, von meinem eigenen Sinn in diesem Leben in Frage.

Das war wahrscheinlich der noch unbewusste Anfang meiner Suche nach Gott. Ich sehnte mich nach den Antworten auf meine Fragen. Ich konnte nicht einfach so in den Tage hineinleben, ohne jegliches Ziel, wie es mir schien. Es gab Momente, in denen mich eine fürchterliche Todesangst überwältigte. Es grenzte an eine Depression. In diesen Momenten fragte ich mich immer wieder: Ja, nehmen wir an, du wirst ein nach den üblichen Standards glückliches Leben führen: Liebevoller Ehemann, süße Kinder, guter Job, gute Freunde und dann stirbst du. Würde etwas aus deinem ganzen Leben irgendeinen Sinn haben? Deine Kinder und Enkelkinder werden eines Tages auch sterben. Die Erde, der Kosmos, alles wird eines Tages Geschichte. Wofür lebe ich dann? Wofür soll ich mich anstrengen? Wo ist die Grenze zwischen dem, was richtig ist und dem, was falsch ist? Warum soll ich gut sein? Warum soll ich schlecht sein?

Es ist schon merkwürdig, dass ich nie den Satz „Ich glaube nicht an Gott“ sagen konnte.

Ich konnte einfach nicht. Ich fühlte, dass ich doch glaubte. Wenn mich jemand nach Religion fragte, geriet ich fast in Panik und abhängig davon, wer fragte, erwiderte ich, es sei eine sehr persönliche Frage oder ich fing eine Diskussion an, die mit noch mehr Fragen endete. Das Konzept, dass ich glauben, ohne zu fragen, sollte, konnte mich überhaupt nicht zufrieden stellen. Ich konnte nichts fühlen, wenn meine Fragen unbeantwortet blieben. Jetzt verstehe ich, wie sehr ich damals Gott lieben wollte, ich wollte fühlen und glauben und sicher sein und in Frieden leben.

Während meines fünfjährigen Studiums kam ich nur einmal mit dem Begriff „Islâm“ in Berührung. Wir hatten ein Fach, das hieß „Die Geschichte der Religion“. Eins der Unterrichtsbücher enthielt folgenden Satz: „... und es steht im Qurân geschrieben: „Tötet die Götzendiener...“ (Sûra 9:5). Ich kann mich noch erinnern, wie schockiert ich war und wie ich zu mir sagte, falls ich mich je für eine Religion entscheide, dann sicherlich nicht für den Islâm. Allâh weißt es jedoch besser!

Nachdem ich mein Studium in Russland absolviert hatte, ging ich nach Deutschland, um mein Studium dort fortzusetzen, Al-Hamdu li-llâh!

Ich komme aus einem sehr entfernten Ort in Russland, dem Fernen Osten. Wir sind das Landesende, der letzte Punkt vor China. Japan, Korea und China sind meiner Heimatstadt näher als Moskau. 10.000 Kilometer musste ich bis nach Hannover reisen. Eine 10.000 Kilometer lange Reise, damit ich meine Liebe zu Allâh und zum Islâm finden konnte. Ist das nicht ein Wunder? Ist das nicht eine große Barmherzigkeit? Subhan Allâh!

Wenn ich jetzt zurückblicke, sehe ich so viele kleine Dinge, die wie Teile eines Puzzles ein komplettes Bild von meinem Weg bilden. Mein erstes Jahr in Hannover; zu beschäftigt mit meinem Studium, mit dem Deutschlernen, mit dem Gewöhnen an die neue Umgebung, um mir die existentiellen Fragen zu stellen. Wie an einen kleinen Tropfen in diesem See von Beschäftigungen, erinnere ich mich an ein Gespräch mit einem Studenten aus der Türkei. Er war nicht gerade sehr religiös, das ist allerdings etwas, was mich immer noch bei vielen Muslimen fasziniert: Sogar die nicht-praktizierenden Muslime tragen manchmal die Charakterzüge eines guten Muslims in sich, sei es die Großzügigkeit, Gastfreundlichkeit, Ehrlichkeit oder einfach ein fester Glaube, dass es einen Gott gibt, einen Verzeihenden, einen Barmherzigen. Ein Glaube, der einem in der westlichen konsumbesessenen Gesellschaft eher seltsam vorkommt.

Eines Tages sprachen wir über Religionen. Ich stellte meine üblichen unbeantworteten Fragen, die fast immer die ganze weitere Diskussion blockierten. Es fiel mir schwer, das Konzept der Sünde im Christentum zu verstehen. Wie kann ein Priester die Sünden vergeben? Wie kann er wissen, dass meine Reue aufrichtig war? So könnte ich praktisch jeden Tag sündigen und jeden Tag zum Priester gehen? Und... wenn Jesus
schon für all unsere Sünden gestorben sei, warum nicht sündigen?

Der türkische Student war still und ruhig und dann sagte er: „Im Islâm sagen wir, dass jeder Mensch wie ein sauberes Blatt Papier geboren wird. Alles, was du im Leben tust, wird auf diesem Blatt aufgeschrieben und Allâh alleine kann entscheiden, ob Er dir vergibt oder nicht.“

Ich war fasziniert. Das war das erste Mal, dass die Diskussion nicht in der Sackgasse endete. Ich fand eine Antwort. Ich war davor so durcheinander gewesen und ein einfacher Satz machte die Dinge so klar und logisch, frei für den Verstand und für das Gefühl.

Zu diesem Zeitpunkt habe ich jedoch mein Wissen über den Islâm nicht erweitert. Das war erst ein Jahr danach, als ich mich in einen Muslim verliebte. Ich kann nicht sagen, dass es eine glückliche Beziehung war. Er war kein perfekter Muslim, er betete nicht und führte ein Leben, das leider viele junge muslimische Studenten führen, wenn sie in den Westen kommen. Abgesehen davon hatte er etwas, was mir fehlte, etwas innerlich sehr Starkes, den Glauben an Gott, den Glauben an eine Offenbarung und keine Angst vor dem Tod.

Gut, ich war eine fleißige Studentin, eine gute Freundin und versuchte, ein guter Mensch zu sein, mir fehlte aber immer so eine Kraft, die, heute weiß ich es, nur von der Erkenntnis der Existenz Gottes kommen kann. Ich sah, wie er im Ramadan fastete, jedoch dachte ich nicht viel über die Bedeutung davon nach. Es ist schon interessant, dass ich anfing, nach Bedeutungen zu suchen, als wir uns getrennt hatten. Wir verstanden uns in vielerlei Hinsicht nicht und ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich wollte ihn verlassen aber auch verstehen, was es war, das nicht funktioniert hatte. War es seine Religion? Waren es seine Traditionen? War es seine Erziehung? Oder lag das Problem bei mir?

Ich kaufte ein Buch über das Leben des Propheten Muhammads
und fuhr nach Frankreich zu einem Sprachkurs. Der Sprachkurs war gut, das Buch war noch besser. Ich wollte mehr lernen.

Das war ein schwieriges Jahr für mich. Ich war sehr krank geworden und musste operiert werden. In allem liegt aber Allâhs große Weißheit. Ich war sehr einsam und hatte Angst vor der Operation, aber das war der Wendepunkt, an dem ich anfing, mehr und mehr über Gott nachzudenken. Al-Hamdu li-llâh, alles war gut gegangen und ich war dadurch ein anderer Mensch geworden. Alles, was danach passierte fügt sich logisch zusammen. Ich denke, in dem Moment, war ich in meinem Herzen schon Muslima.

Für mein Studium hatte ich über ein Jahr lang einen privaten Italienischlehrer. Durch meine ganzen Probleme hatte ich jedoch den Kontakt verloren. Nachdem ich wieder gesund war, wollte ich meinen Italienischunterricht fortsetzen und fing an, einen neuen Lehrer zu suchen. Eines Tages suchte ich eine von vielen Telefonnummern, die man an einem Informationsbrett an einer Universität finden kann, aus. Ich wählte die Nummer und eine sehr nette Italienerin sagte mir, sie würde sich freuen, mich zu unterrichten und der Preis sei nicht zu hoch. Wir verabredeten uns und dann teilte sie mir mit, es würde einfach sein, sie zu erkennen, weil sie ein Kopftuch trägt.

Ein Kopftuch? Ja, ich war überrascht, aber in dem Moment dachte ich, sie wäre vielleicht eine Italienerin mit arabischen Wurzeln oder etwas Ähnliches. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt noch nie in meinem Leben mit einer Frau, die Kopftuch trägt, gesprochen. Ich dachte gleich an die Frauen, die ich ab und zu sah und von denen ich vermutete, sie seien Europäerinnen, die Kopftücher tragen. Ich hielt nicht viel von ihnen und dachte immer, sie hätten eine schlechte Ausbildung und machten alles, was ihre Männer von ihnen verlangten. Ich wusste damals nicht viel über den Islâm und hatte meine eigenen westlichen Ideen, wie die Frau sich zu präsentieren habe.

Und dann traf ich Nura, Al-Hamdu li-llâh. Dieses Treffen veränderte mein ganzes Leben. Ich sah diese Italienerin, konvertiert zum Islâm, sehr gut ausgebildet, intelligent, schön, mit gutem Gefühl für Humor und... sie trug ein Kopftuch!

Sie hatte Licht, Strahlen in ihrem Gesicht, das von Innen kam, maschâ‘ Allâh!

Meine Welt veränderte sich. Ich verstand, wie viele Vorurteile ich hatte. Wir fingen unseren Unterricht an, aber, ehrlich gesagt, sprachen wir mehr über den Islâm als dass wir Italienisch lernten, Al-Hamdu li-llâh!

Und dann las ich den Qurân. Meine erste Frage war, warum ich das nicht früher getan hatte! Das hätte mein erster Schritt sein sollen.

Ich war überwältigt von Glück und Freude, weil ich sofort, mit dem Lesen der ersten Seiten verstand, dass das die Wahrheit ist, die ich schon so lange gesucht hatte, dass das die Antwort und die Rechtleitung ist und ich brauche keine Angst mehr zu haben. Diese Wörter gingen direkt in mein Herz und ich fühlte Frieden. Das Leben hat einen Sinn und ich kann, inschâ‘ Allâh, Vieles machen, um diesen Sinn zu erfüllen.

Ich kann mich erinnern, wie ich eines Tages bei der Arbeit saß und so ein absolutes und vollständiges Glück fühlte, dass wenn meine Kollegen mich gesehen hätten, sie gedacht hätten, ich sei verliebt. Und ich empfand tatsächlich eine tiefe Liebe für Allâh und den Islâm und die Lebensweise, die Er uns vorgeschrieben hat. Wahrlich, nichts auf dieser Erde kann dem Menschen dieses Gefühl von einem absoluten, unvergleichbaren Glück geben, außer die Liebe zu Allâh und die Erkenntnis Seines Willen.

Ich bete, ich trage den Hidschâb, ich faste im Ramadân und ich weiß überhaupt nicht, wie ich ohne dies alles früher gelebt habe. Was war das für ein Leben, voller Angst, Einsamkeit und ohne Sinn?

Alles kommt von Allâh. Wir müssen nur einen kleinen Schritt in Seine Richtung machen und Er wird uns in Seiner großen Barmherzigkeit entgegen kommen. Ich war einsam und Er gab mir eine wunderschöne Ummah, ich war krank und Er heilte mein Herz und meine Seele, ich war verloren und Er gab mir die Rechtleitung und Frieden, meine Seele hatte Hunger und Er gab ihr Nahrung.

Al-Hamdu li-llâh!
 

Von Elena Safiyah Shromova für way-to-Allah.com

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