Ein Muslim ist nach der Definition jemand, der die Religion Allâhs ehrt und sie vor alles andere stellt. Er oder sie erlaubt niemals, dass entgegengesetzte, menschengemachte Sichtweisen Allâhs Befehlen vorgezogen werden. Ein Muslim sieht die Scharî'a (islâmisches Gesetz) als unfehlbar an; er akzeptiert sie und unterwirft sich all ihren Vorschriften, auch wenn er nicht die Hintergründe aller Regeln kennt. Obwohl der Großteil der Scharî'a verstanden und ihre Logik geschätzt wird, gibt es bestimmte Aspekte (gemeint sind einige Anbetungshandlungen), die weniger mit dem Verstand zu erfassen sind.So dienen die Anbetungshandlungen unter Anderem dem Zweck, den Menschen zu prüfen, ob er sich Allâh hingibt. Wenn etwas sachlich begründet und Teil der Scharî'a ist, sollte es geehrt und befolgt werden. Dies trifft ganz klar auch auf die Rituale der Haddsch zu, besonders auf das Küssen des Schwarzen Steins. Wie wir wissen, ist der Schwarze Stein nur ein Stein und unfähig, jemandem zu nutzen oder zu schaden; da der Gesandte Allâhs ihn jedoch immer küsste, wenn er die Ka'ba umkreiste, kommen die Muslime ihrer Verpflichtung nach, ihn ebenfalls zu küssen. Dieses Selbstverständnis wird durch die Aussage des Kalifen 'Umar ibn Al-Chattâb bestens wiedergegeben, der zum Schwarzen Stein sagte: "Bei Allâh! Ich weiß, dass du nur ein Stein bist, der nicht nutzen und nicht schaden kann; und hätte ich nicht den Propheten dich küssen sehen, hätte ich dich nicht geküsst." (Al-Buchârî)
Ibn Hadschar sagte in seinem Fath Al-Bârî, 'Umars Aussage kommentierend: "Umars Aussage und Handlung bezüglich des Rituals, den Schwarzen Stein zu küssen, entspricht dem allgemeingültigen Prinzip, den Befehlen und der Sunna des Propheten zu folgen, sogar wenn deren Sinn außerhalb unseres Verständnisses liegt." Ein wesentlicher Teil der Absicht bei dieser Art von Ritualen im Islâm ist, sich als Muslim hinzugeben.
Eine Abgrenzung von den Polytheisten
Ein Hauptmerkmal des Islâm, das sehr deutlich und zweifellos im Qurân und in der Sunna festgelegt ist, ist die Pflicht der Muslime, sich von den Polytheisten abzuwenden. Allâh sagt (ungefähre Bedeutung): "Ihr habt doch ein schönes Vorbild in Ibrâhîm und denjenigen, die mit ihm waren, als sie zu ihrem Volk sagten: Wir sind unschuldig an euch und an dem, dem ihr anstatt Allâhs dient. Wir verleugnen euch, und zwischen uns und euch haben sich Feindschaft und Hass auf immer offenkundig gezeigt, bis ihr an Allâh allein glaubt. (Sûra 60:4)
Die Haddsch-Rituale zeigen und unterstreichen diese Abwendung der Muslime von allen Konzepten, Praktiken und Wegen der Ungläubigen. Wir erfahren aus der Biografie des Propheten , dass seine Handlungen und Verhaltensweisen in 'Arafa und Muzdalifa sich von denen der Polytheisten der vorislâmischen Zeit an diesen beiden Orten unterschieden. Dies ist gewiss eine wichtige Lehre bezüglich der Haltung der Muslime zu den Handlungen, Einstellungen und Ritualen der Polytheisten und Götzendiener. Jeder, der die Polytheisten nachahmt und ihre Verhaltensweisen, ihr Benehmen, ihr Aussehen oder ihren Lebensstil annimmt, hat es gewiss verfehlt, die Lehren des Propheten in dieser Angelegenheit zu schätzen.
Demut vor Allâh
Bescheidenheit, die nicht durch Angst oder einen Minderwertigkeitskomplex hervorgerufen wird, ist ein Hauptcharaktermerkmal eines Muslims. Dies ist so, da die Scharî'a Hochmut verabscheut, die Hochmütigen verachtet, und sie vor den schlimmen Folgen einer hochmütigen Haltung am Tag der Vergeltung warnt, wie folgendes Hadîth ausdrückt: "Das Paradies ist für jeden unerreichbar, der ein Quäntchen Hochmut in seinem Herzen hat." (Muslim)
Die Pilger sehen bei der Haddsch, besonders am Tag von 'Arafa, dem Hauptereignis der Haddsch, so gleich aus, dass sie alle Brüder zu sein scheinen. Das Gedränge von Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft spiegelt die Gleichheit aller Pilger aus der Sicht Allâhs wieder und symbolisiert den Gedanken, dass es keinen Unterschied zwischen einem Prinzen und einem Armen gibt, sobald jeder gleich gekleidet ist. Alle Pilger stehen zusammen, Allâh anflehend und preisend. Sie haben ein mächtiges Ziel im Hinterkopf und einen festen Fokus: den über alles Erhabenen anzuflehen, dass Er ihre Sünden vergeben, und sie damit segnen möge, dass sie für den Rest ihres Lebens auf dem geraden Weg bleiben. Ihr Eintauchen mit Körper und Geist in die eindrucksvolle Haddsch-Atmosphäre befreit sie von weltlichen Zielen und Idealen, damit sie sich darauf konzentrieren können, die Haddsch zu vollenden, anstatt oberflächliche Überlegungen und Ziele zu verfolgen. Als der Prophet die Talbiya (labbaika Allâhumma labbaik (…) zu sagen) aussprach, manifestierte sich diese Atmosphäre der Bescheidenheit und Demut vor Allâh. Anas berichtete, dass der Prophet in seinem Talbiya-Bittgebet sagte: "Hier bin ich zu Deinem Dienst, O Herr. Hier bin ich und verrichte den Haddsch mit Aufrichtigkeit und wahrer Dienstbarkeit." (Al-Bazzâr)
Die Seele reinigen
Die Muslime sind dazu verpflichtet, sich um ihre Seelen zu kümmern und gut auf sie zu achten, indem sie sie von niedrigen Eigenschaften wie Geiz und Egoismus - um nur zwei zu erwähnen – zu läutern. Sie sind dazu angehalten, den Armen ihren Anteil an Spendengeldern zu geben, wofür ihnen reichlicher Lohn versprochen wird. Obwohl es ein großer finanzieller Aufwand ist zum Haddsch zu gehen und man während dem Haddsch zunächst andere Dinge in den Vordergrund stellt, die einen eigentlich nicht an Spenden denken lassen, ermutigt die Sunna die Pilger dazu, so viel zu spenden, wie sie können. Und da die Pilger, besonders die Mittellosen, oft Versorgung wie Essen und Wasser benötigen, hält Allâh die Besucher Seines Hauses dazu an, von ihrem Essen (Opfertieren) großzügig zu geben. Allâh sagt: "... Esst (selbst) davon und gebt dem Elenden, dem Armen zu essen." (Sûra 22:28) Er, der über alles Erhabene, lehrt den Pilgern, dass ihnen dies helfen wird, Frömmigkeit zu erlangen - der eigentliche und wahre Grund des Spendens für Allâhs Wohlgefallen. Allâh sagt (ungefähre Bedeutung): "Weder ihr Fleisch noch ihr Blut werden Allâh erreichen, aber Ihn erreicht die Gottesfurcht von euch..." (Sûra 22:37) Der Prophet betonte die Bedeutung des Spendens, besonders während dem Haddsch, indem er sagte: "Die Belohnung für das Spenden im Haddsch übertrifft die Belohnung für das Spenden in einer anderen Situation." (Ahmad und At-Tabarânî)
Spenden ist entscheidend um die eigene Seele zu reinigen. Und dies umso mehr, wenn in Zeiten der eigenen Bedürftigkeit gespendet wird, wenn die eigenen finanziellen Belastungen am größten sind; doch wenn man mehr Kontrolle über sein Ego gewinnen will und sich von materiellen Bedürfnissen lossagen möchte, dann ist das Spenden während des Haddsch ein wirksamer und wichtiger Schritt in diese Richtung.
Jenseits der Rituale: Die eigentlichen Ziele und Absichten des Haddsch - Teil 1
Jenseits der Rituale: Die eigentlichen Ziele und Absichten des Haddsch - Teil 2
Jenseits der Rituale: Die eigentlichen Ziele und Absichten des Haddsch - Teil 4
Jenseits der Rituale: Die eigentlichen Ziele und Absichten des Haddsch - Teil 5