Zum Vorwurf der Unvereinbarkeit und des Widerspruchs von Hadîthen

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Zu den Punkten, die für jeden Muslim unbestritten sein sollten, gehört die Tatsache, dass die Religion Allâhs frei von Widersprüchen und Unvereinbarkeiten ist und ebenso Sein Gesetz. Denn dieses Gesetz wurde von Ihm, dem Wissenden und Weisen, herabgesandt, dessen Worte und Normen sich nicht widersprechen.

Es ist nicht möglich, zwei Beispiele zu finden, an deren Authentizität kein Zweifel besteht und die von glaubwürdigen Tradenten überliefert wurden, die einander vollkommen widersprechen würden, so dass es unmöglich wäre, in irgendeiner Hinsicht eine Übereinstimmung der beiden zu finden.
 
Der Verweis darauf, dass die Aussagen des Propheten sich widersprechen, hat seinen Grund entweder in der unzureichenden Kenntnis der Hadîth-Wissenschaft, so dass nicht unterschieden wird zwischen authentischen und schwachen Hadîthen und darum Widersprüche zwischen Hadîthen auftauchen, die jeder Grundlage entbehren. Oder es werden authentische Hadîthe frei erfundenen Begebenheiten gegenübergestellt. Oder aber es ergeben sich scheinbare Widersprüche auf Grund fehlenden Wissens und mangelnden Verständnisses um die Absicht eines Textes.
 
Der Imâm Ibn Chuzaima , der dafür bekannt war, jene Hadîthe in Übereinstimmung zu bringen, die einander scheinbar widersprachen, sagte: „Mir sind nicht einmal zwei Hadîthe bekannt, die einander widersprechen würden, und sollte jemand solche finden, so möge er sie mir zeigen, damit ich sie miteinander in Einklang bringe.“ Deshalb sind die Behauptungen der Orientalisten und ihrer Anhänger, ihr Verweis auf die Unvereinbarkeit von Überlieferungen, ihr Aufruf zur Anzweiflung und Herabwürdigung der Überlieferungen des Propheten von einer besonderen Dreistigkeit. So heißt es: „Es herrscht das grundlegende Prinzip bei den Befürwortern der Hadîthe, die Schwächen der Überlieferungen zu beseitigen.“
 
Juynboll sagte beispielsweise: „In diesem Zusammenhang müssen wir darauf hinweisen, dass die Hadîthe an sich Ursache von Streit und Zwistigkeiten waren. Es gab kaum einen Bereich, wo die Überlieferungen nicht zu Widersprüchen geführt hätten. Was letztendlich zur Norm wurde, war nicht abhängig vom Wissen des Gelehrten, sondern vom Stoff, den er überlieferte.“
 
Mc Donald erwähnt einige aus seiner Sicht widersprüchliche Hadîthe und sagt: „Wir sehen Hadîthe, die offensichtlich zeigen, dass Muhammad keinerlei Disput in Bezug auf die Religion zuließ. Auf der anderen Seite finden wir Hadîthe, in denen er äußerst offen für jede Auseinandersetzung ist. Beide Arten von Überlieferungen sind zweifelhaft. Wahrscheinlich wurde die erste Gruppe von jenen vorgebracht, die das Gesetz der Vernunft ablehnten und sich auf das verließen, was überliefert wurde.“
 
Weiter sagt er: „Aufgrund des ständigen Anwachsens der Hadîthe kam es auch zu Unvereinbarkeiten hinsichtlich der Eigenschaften Allâhs. So finden wir Hadîthe wie: „Meine Barmherzigkeit überwiegt Meinen Zorn.“ Auf der anderen Seite furchtgebietende Hadîthe, wie: „Diese ins Paradies! Es kümmert Mich nicht! Und diese ins Feuer! Es kümmert Mich nicht!“  
 
So fügte "Abû Rayya" seinem Buch Adwâ ´alâ As-Sunna Al-Muhammadiyya ein Kapitel mit der Überschrift Zweifelhafte Hadîthe hinzu, um diese Behauptung zu stützen, in dem er auf Überlieferungen hinweist, die aus seiner Sicht problematisch sind, einige, die auf den Propheten zurückgehen, andere, deren Überliefererkette unterbrochen ist. Einiges davon gilt als sahîh, Anderes nicht.
 
Tatsächlich ist dieser Vorwurf nicht neu und wurde seit jeher vorgebracht. Die großen Gelehrten des Islâm traten ihm entgegen, unter ihnen Ibn Qutaiba Ad-Dainawarî in seinem Werk Tawîl Muchtalif Al-Hadîth, in dessen Einleitung er darauf eingeht, was ihn zur Abfassung desselben bewegt hatte. Einer der Beweggründe war die Verleumdung der Hadîth-Gelehrten durch die Anhänger der scholastischen Theologie. Letztere bezichtigten die Hadîth-Gelehrten der Lüge und widersprüchlicher Darstellungen, deren Vorwürfe zu mehr und mehr Konflikten und zum Entstehen ständig neuer Sekten führten. Die Orientalistik und ihre Anhänger folgten ihrer Auffassung, sei es aus Unachtsamkeit oder aus Unkenntnis der Hadîth-Wissenschaft und ihrer Regeln im Umgang mit dieser Art von Überlieferungen.
 
Tatsache ist, dass die augenscheinliche Widersprüchlichkeit von Texten keineswegs etwas Ungewöhnliches ist, solange man nicht zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen trennt, zwischen dem, was uneingeschränkt, und dem, was beschränkt gültig ist, dem, was aufgehoben wurde, und dem, wodurch es aufgehoben wurde und das somit nicht mehr als Norm zulässig ist. Die Gelehrten verweisen auf zahlreiche Gründe für die scheinbare Widersprüchlichkeit von Hadîthen:
 
- Manche Begebenheiten etwa trugen sich mehrmals zu, so dass zwei Gefährten darüber berichteten, wobei jeweils andere Umstände herrschten. So berichtet der eine, was sich unter den jeweiligen Umständen zugetragen hat, und auch der andere berichtet, was sich ereignet hat. Zum Beispiel die beiden Hadîthe: „Wer sein Glied berührt hat, muss die rituelle Gebetswaschung vollziehen.“ Und: „Es ist aber doch nur ein Teil von dir.“
 
- Ein anderer Grund für die scheinbare Widersprüchlichkeit von Hadîthen ist, dass der Prophet eine Handlung auf verschiedene Art und Weise vollzogen hat, um auszudrücken, dass jede davon zulässig sei, wie es die Überlieferungen über das Witr-Gebet zeigen, das sieben, neun oder elf Raka´ât umfassen kann. 
 
- Oder etwa die unterschiedlichen Ansichten darüber, in welchen Haddsch der Prophet vollzogen hat, Qirân, Ifrâd oder Tamattu´. Die Gefährten hatten diesbezüglich unterschiedliche Auffassungen, was auch zulässig ist, denn die zu Grunde liegende Absicht ist für den Außenstehenden eben nicht erkennbar.
 
- Ein anderer Grund kann darin bestehen, dass ein Gefährte Kenntnis einer neu offenbarten Rechtsentscheidung hatte, die eine frühere ungültig werden ließ, ein anderer Gefährte diese neue Entscheidung aber noch nicht kannte und weiterhin die ihm bekannte Entscheidung weitergab. Und viele andere Gründe.
 
All diese Aspekte wurden von den Hadîth-Gelehrten berücksichtigt, die Regeln und Normen für den korrekten Umgang mit den Überlieferungen festlegten, um so scheinbare Widersprüche in den Aussagen des Propheten zu klären. Dieser Zweig der Hadith-Wissenschaft ist als Muchtalif Al-Hadîth bekannt. Es ist ein überaus bedeutender und interessanter Wissenszweig, der Rechtsgelehrter mit umfassendem Wissen und präzisem Verständnis bedarf.
     
Diese Regeln und Normen sind Kern der Hadîth-Wissenschaft selbst und stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit jenen Normen, die über die Anerkennung einer Überlieferung selbst entscheiden. Deshalb unterscheidet die Hadîth-Wissenschaft zwischen schâdh und mahfûz, munkar und ma´rûf, zwischen nâsich und mansûch, mudtarib und mu´allal. Widerspricht etwa eine schwache Überlieferung (da´îf) einer akzeptierten Überlieferung (maqbûl), so wird die schwache verworfen und gilt als munkar. Was ihr widerspricht gilt als ma´rûf.
 
Wenn einem akzeptierten Hadîth aber eine Überlieferung eines glaubwürdigen Gewährsmannes widerspricht – wir bezeichnen sie jetzt nicht als sahîh/authentisch – so sieht man sich die Eigenschaften der beiden Überlieferungstexte selbst an. Entweder ist es möglich, die beiden Hadîthe angesichts der Erläuterungen in Einklang zu bringen, und dazu zählen die meisten dieser Hadîthe. Beispiele dafür sind die beiden Überlieferungen: „Wenn eine Wassermenge mehr als zwei Qulla umfasst, so kann sie nicht unrein werden.“  Und: „Allâh erschuf das Wasser sauber und ohne jede Verunreinigung.“ Es sei denn, etwas änderte seinen Geschmack, seine Farbe oder seinen Geruch.
 
Zur ersten Überlieferung: Wenn eine beispielsweise in der Wüste vorgefundene Menge Wasser mehr als zwei Krüge umfasst, so kann sie als rein angesehen werden, auch wenn zuvor vielleicht ein Mensch oder ein Tier davon getrunken hat. Auf Grund dieser Menge ist davon auszugehen, dass keine Verunreinigung mehr vorliegt. Es sei denn, Geschmack, Geruch oder Aussehen des Wassers sind ganz offensichtlich verändert. Die zweite Überlieferung betrifft das Wasser an sich, das ohne jegliche Verunreinigung erschaffen wurde, handle es sich nun um zwei Krüge oder weniger.
 
Des Weiteren gehören auch jene Überlieferungen dazu, die widersprüchliche Bestimmungen bezüglich der Ansteckungsgefahr enthalten, wie: „Ein Kranker soll nicht zu einem Gesunden gehen.“ Oder: „Fliehe vor dem leprösen wie vor einem Löwen.“ Und Hadîthe, die das zurückweisen, wie: „Es gibt keine Ansteckung und kein böses Vorzeichen.“ All diese Hadîthe sind sahîh und die Gelehrten schlugen verschiedene Wege ein, um sie in Einklang zu bringen und ihre scheinbare Widersprüchlichkeit zu klären.
 
Wenn es aber nicht möglich ist, zwei widersprüchliche Überlieferungen in Übereinstimmung zu bringen, so bleibt nur zweierlei:
 
Erstens: Dass mit Blick auf den zeitlichen Rahmen sich herausstellt, dass die eine Überlieferung der anderen vorausging und somit durch die nachfolgende ersetzt wurde. Somit liegt kein Widerspruch vor, denn die frühere Regelung wird durch die spätere ersetzt und allein letztere ist maßgeblich.
 
Zweitens: Es gibt keinen Beweis für eine solche Aufhebung. In diesem Fall gilt jene Überlieferung, die mehr Gewicht hat und als vorzüglicher anzusehen ist.
 
Dieser Hadîth gilt dann als sahîh oder er wird auch als mahfûz bezeichnet, der im Widerspruch stehende als schâdh (regelwidrig) oder mu´allal (krank) und wird zurückgewiesen. Die Gelehrten widmeten daher ihre Aufmerksamkeit und ihr Bemühen jenen Kriterien, die dafür ausschlaggebend sind, einem Hadîth mehr Gewicht und Vorrang gegenüber einem anderen zu geben. Diesen Aspekten wurde im Einzelnen und im Ganzen auf den Grund gegangen, bis man an die hundert Kriterien, die die Vorzüglichkeit einer Überlieferung kennzeichnen, unterschied, worauf unter Anderem der Imâm Al-Irâqî hinweist. In ihrer Gesamtheit werden sie in sieben Gruppen eingeteilt, die As-Suyûtî in Tadrîb Ar-Râwî nennt. So die Vorzüglichkeit des Tradenten, der Aspekt der Dauerhaftigkeit, das ausreichende Maß des Berichts, der Wortlaut des Berichts und andere Kriterien.
 
Die Gelehrten ließen nicht davon ab, den diesbezüglichen Regeln und Normen auf den Grund zu gehen, sondern beschäftigten sich mit jenen Überlieferungen bis ins kleinste Detail. Sie erläuterten diese und untersuchten jede Art von Widersprüchlichkeit in ihren zahlreichen Erläuterungen und verfassten zu jener Gruppe von Hadîthen auch eigene gesonderte Werke. Zu diesen gehören u.a.:
 
- Ichtilâf Al-Hadîth von As-Schâfiî
- Ta’wîlu muchtalif Al-Hadîth von Ibn Qutaiba
- Muschkil Al-Athâr von At-Tahâwî
- Muschkil Al-Hadîth von Abû Bakr ibn Faurak
 
So zeigt sich, dass die Untersuchungen hinsichtlich der Widersprüchlichkeit von Hadîthen alle Aspekte umfasst und somit jeder Verdacht gegenüber einem als sahîh bezeichneten Hadîth schwindet.

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