Es war eine schöne mondhelle, sternenlose Nacht. Ich blickte aus dem Fenster und atmete tief ein. Es schien alles so friedlich, und dennoch schien die Unruhe in mir stärker zu wüten denn je. Ich verspürte ein plötzliches Verlangen zu springen und einfach loszulassen. Meine Sorgen, meine Probleme, mein Leben - loszulassen.
Ich bin einfach nichts wert!
Manchmal empfinde ich, dass meine Familie denkt, ich sei lediglich eine Plage … und ich tadle sie nicht dafür. Schließlich müssen sie für mein Essen, für meine Schule und für meine Kleidung zahlen. Ich empfinde, dass meine Freunde mich nicht wirklich lieben. Und ich tadle auch sie nicht dafür. Schließlich gibt es nichts wirklich Besonderes an meiner Persönlichkeit.
Ich bin einfach nichts wert!
Warum bin ich noch auf dieser Welt? Ich wünschte, ich könnte einfach die Qual für alle beenden, indem ich verschwinde. Ja, das wäre angenehm - in ein Land inmitten der Wüste verschwinden oder auf eine Insel inmitten des Ozeans, wo ich niemanden stören würde. Oder ich könnte einfach die Welt gänzlich verlassen.
Ich bin einfach nichts wert!
Vielleicht wäre alles besser, wenn ich nicht geboren worden wäre. Meine Eltern hätten mehr Geld, um es für sich selbst auszugeben. Meine Lehrer hätten eine Person weniger zu beschimpfen. Meine Klassenkameraden hätten mehr Zeit, um auszuruhen, anstatt ihre Augen meinetwegen zu verdrehen. Meine zukünftige Frau wäre mit einem anderen Mann genauso glücklich oder noch glücklicher. Vielleicht wäre es besser, ich würde gänzlich damit aufhören in das Leben anderer einzudringen. Vielleicht wäre es besser, ich würde einfach nicht mehr leben?
Ich bin einfach nichts wert!
Plötzlich verhüllten zwei Hände meine Augen von hinten und eine Stimme kicherte und rief „Wer ist es?!“
Ich amüsierte mich nicht darüber und schob verärgert die Hände fort.
„Lass mich in Ruhe, Sara! Geh zurück in dein Zimmer!“ Es war meine kleine Schwester bei ihren gewöhnlichen Eskapaden.
„Aber warum, Bruder? Du hast den ganzen Tag keine Zeit mit mir verbracht!“
„Sara, ich habe es dir schon einmal gesagt: Hau ab!“
Sie zog eine Schnute und sagte hartnäckig: „Nein! Ich werde nicht gehen, bis du mit mir kommst! Komm schon!“ Darum bemüht, dass ich mit ihr komme, begann sie an meinen Armen zu ziehen.
Ich schob ihre Arme nochmals zur Seite und blickte sie wütend an.
„Sara, geh raus! JETZT!“ brüllte ich. Ich war erzürnt darüber, dass sie mich störte, während ich so tief in meinen wichtigen Gedanken versunken war. Ich blitzte sie weiter an, bis sie schweigend aus dem Zimmer trottete.
„Kleine Schwestern sind so lästig!“ schäumte ich zu niemand Bestimmtem. Ich blickte wieder aus dem Fenster in den mondbeschienenen Himmel und begann abermals in meine Leben-oder-Tod-Gedanken zu versinken.
Ich begann mir vorzustellen, wie alle reagieren würden, wenn sie meinen Körper morgen tot auffinden würden. Bekannte Gesichter schwebten mir vor, als ich versuchte, mir ihre Gesichter vorzustellen - schockiert und nicht in der Lage zu verstehen, warum ich nicht mehr lebe. Ich spürte, wie Tränen langsam aus meinen Augen hervorquollen, als ich realisierte, dass diese traurigen Momente, wenn sie überhaupt stattfanden, bald schon eine ferne Erinnerung sein würden. Die ganze Welt war dazu verdammt, mich innerhalb weniger Tage nach meinem Tod zu vergessen. Sicherlich hätten meine Eltern eine Woche lang oder zwei etwas zu diskutieren, doch da der Tod für jeden schnell zu einem verbrauchten Gesprächsthema wird, würden sie bald zu fesselnderen und aktuelleren Themen übergehen. Ich würde, völlig vergessen von meinen Mitmenschen, in meinem Grab liegen.
Ich blickte hinaus in den sternenlosen Himmel und wünschte mir, ich könnte die Qual einfach beenden.
Ich bin einfach nichts wert!
Meine Depressionsgedanken wurden abermals unterbrochen, als ich eine kleine Karte in meine Hand gleiten spürte. Ich drehte mich um und sah abermals meine kleine Schwester. Doch jetzt liefen ihr von ihren kleinen, roten, angeschwollenen Augen Tränen herunter. Sie traute sich nicht, zu mir aufzuschauen und schaute stattdessen hinunter und blickte gespannt auf die Karte, die jetzt in meiner Hand war. Aufgewühlt seufzte ich und klappte langsam die Karte auf.
Darin stand in gekritzelter Handschrift:
„Lieber Bruder,
es tut mir leid, dass ich dich verärgert habe! Vergibst du mir?
- Sara.“
Mensch, fühlte ich mich schlecht! Aufgewacht aus meinem Egoismus, entschloss ich mich dazu, mich mit ihr zu versöhnen. Ich hob sie auf, umarmte sie fest und begann dann ihren Nacken zu kitzeln, was sie immer zum Lachen bringt. Ihre Augen erheiterten sich und sie begann wieder breit zu lächeln. Ich ließ sie herunter und sagte leise zu ihr: „Entschuldige, dass ich vorhin nicht nett zu dir war! Ich bin nicht wütend auf dich. Ich - fühl mich einfach nicht wohl heute. In Ordnung?“
Sie schaute besorgt auf und fragte sanft: „Bist du traurig Bruder? Mutter sagte, dass wir, wenn wir traurig sind, uns daran erinnern sollen, dass Allâh uns liebt. Ich denke, das wird dich glücklicher machen!“
Ich brachte es fertig, ihr ein leichtes Lächeln entgegenzubringen und sagte: „Ja, danke, Sara - jetzt geh und spiel! Ich werde morgen Zeit mit dir verbringen, wenn ich mich besser fühle. Versprochen!“ Sie strahlte, als sie dies hörte und schlenderte, bereits in einer anderen unschuldigen Welt versunken, aus dem Zimmer. Ich lächelte, als ich sie das Zimmer verlassen sah, und drehte mich dann wieder zum Fenster, gewillt, zu meinen tiefen, dunklen Gedanken zurückzukehren.
Leider vergebens! Ihre Worte „Allâh liebt dich!“ waren wie eine frische Brise, die meinen gestressten Verstand von all diesen schweren Gedanken reinigte. Ich flüsterte die Aussage wieder und wieder vor mich hin, mit dem Versuch die Bedeutung zu verbinden. Allâh liebt dich. Allâh liebt dich? Allâh liebt mich? Gepriesen sei Allâh! Ich hatte völlig vergessen, mich in meinen Gedanken an Allâh zu erinnern! Meine Familie, meine Freunde, Lehrer und Verwandten kamen mir schnell in den Sinn, doch ich hatte die wichtigste Quelle vergessen – meinen Schöpfer!
Ich erinnerte mich an ein Buch, das mein Bruder mir kürzlich geschenkt hatte und das „Gedenke Allâhs und Er wird deiner gedenken!“ heißt. Ich nahm es schnell aus meinem Bücherregal heraus und las es durch. Als ich damit begann, die Seiten durchzugehen, stieß ich ständig auf Ermahnungen: „Euer Schutzherr ist (allein) Allâh und (auch) Sein Gesandter und diejenigen, die glauben, die das Gebet verrichten, die Abgabe entrichten und zu den sich Verbeugenden gehören.“ (Sûra 5:55). Gepriesen sei Allâh! Ich dachte nach: Allâh sagt jedem Einzelnen von uns, dass Er (allein) unser Schutzherr und Unterstützer ist!
Ich bin jemand! Ich gehöre zur Gemeinschaft Muhammads (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken)! Ich gehöre zur Religion Allâhs!
Als ich das Buch weiterlas, konnte ich nicht aufhören „Gepriesen sei Allâh!“ zu sagen. Ich erstarrte, als ich zu folgenden Worten gelangte:
„Wenn Allâh einen Menschen liebt, dann ruft Er Gabriel herbei und sagt: Allâh liebt den und den; o Gabriel, liebe ihn! Und verkünde unter den Himmelsbewohnern, dass Allâh den und den liebt! Deshalb sollt ihr ihn auch lieben! Und deshalb lieben ihn alle Himmelsbewohner, und dann werden ihm die Freuden der Erdenbewohner gewährt.“ (Al-Buchârî und Muslim).
O Allâh! Was könnte ich darüber hinaus jemals begehren?! Mein eigener Herr erwähnt meinen Namen – und äußert Selbst, dass Er mich liebt! Nicht nur das, sogar die Bewohner des Himmels und der Erde werden mich um Allâhs willen lieben? Was könnte ich darüber hinaus jemals begehren? Tränen begannen aus meinen Augen hervorzuquellen, als ich damit begann, mir die rechtschaffenen Gelehrten der Vergangenheit vorzustellen, die diese große Ehre erlangt und verdient haben müssen. Ich begann mir verzweifelt zu wünschen und zu beten, dass ich ebenfalls zu diesen Menschen gehöre. Ich wollte Allâhs Liebe wert sein.
Ich bin jemand. Ich bin ein Muslim, ein Gläubiger und anbetend Dienender Allâhs des Liebenden!
„Allâh sagt: O Sohn Adams! Wenn du Mich bei dir selbst erwähnst, dann werde Ich dich bei Mir Selbst erwähnen. Wenn du Mich in einer Versammlung erwähnst, dann werde Ich dich in einer Versammlung der Engel (oder in einer besseren Versammlung) erwähnen. Und wenn du dich Mir um eine Handspanne näherst, dann nähere Ich Mich dir um eine Elle; und wenn du dich Mir um eine Elle näherst, dann nähere Ich Mich dir um einen Klafter. Und wenn du laufend zu Mir kommst, dann eile Ich dir entgegen!“ (Al-Buchârî).
Ich musste mich aus den Gefühlen der Nutzlosigkeit erheben! Ich schaute hinauf: „O Allâh! Ich wende mich an Dich!“ Ich musste mein Dasein wertschätzen, da Allâh mich wertschätzte. „O Allâh! Bitte vergib all meine bisherigen Sünden und erlaube mir Dein Wohlgefallen zu erlangen! O Allâh!“
Meine düsteren Gedanken versuchten, zurück in mein Gedächtnis zu dringen, doch sie hatten nicht mehr die Wirkung und das Gewicht wie zuvor. Es ist wahr, dass mein Herz sich an die einschläfernden Depressions- und Suizidgedanken gewöhnt hatte, doch ich erkannte, dass diese vom Satan waren. Er wollte mich überzeugen, dass ich ein Niemand und deshalb nichts wert war. Allerdings erkenne ich jetzt, dass Allâh mir einen Wert gegeben hat und mir ein Ziel gesetzt hat, um Seine Liebe zu erlangen. Und selbst wenn ich empfinde, dass ich wirklich ein Niemand in dieser Welt bin, bedeutet dies, dass ich nichts zu verlieren und all meinen Mitmenschen alles zu geben habe. Ich bin an einem Tiefpunkt, weil ich nun Höheres anstreben kann.
Lass meine „Freunde“ über mich lachen! Lass meine Lehrer mit mir schimpfen! Lass die Welt mich entmutigen!
Mir macht es nichts aus, solange ich mich auf Allâh stützen kann, wenn ich schwach bin!
Ich werde niemals vergessen, wenn ich Allâhs gedenke!
Ich bin Jemand!