Der letzte Ramadan – Teil 1

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Oft schaffen wir es nicht, die ersten Tage des Ramadan richtig zu nutzen, da wir uns nicht richtig darauf vorbereitet haben und daher weder den Wert des Fastens noch die Süße des Qurân verspüren und ebenso wenig die Demut im rituellen Gebet.

 

Diese Augenblicke sind wertvoll. Aufrufende zum Islâm, Gelehrte und Redner sollten für den Monat Scha'bân (vor Ramadân) ein Programm empfehlen, das Dinge wie häufiges Fasten, Qurân-Lesen und nächtliches Stehen im rituellen Gebet enthält, um den Eifer der Menschen zu stärken und die Faulen zu mobilisieren, damit wir den Ramadân beginnen und dabei an diese Dinge gewöhnt sind, sodass sie uns nicht entgehen und unbeachtet bleiben.

 

Dies wäre zweifelsohne etwas Gutes, ja sogar etwas Großartiges!

 

Denn ein Sportler, der sich vor dem Wettkampf nicht aufwärmt und übt, wird nicht imstande sein, eine angemessene Performance zu zeigen. Das Gleiche gilt für einen Muslim oder eine Muslimin, der respektive die vom Ramadân „überrascht“ wird. Denn infolge dessen wird er bzw. sie nicht imstande sein, die gesamte Zeit in ihm gut zu nutzen und von all den Momenten in ihm zu profitieren.

 

Allerdings bin ich der Meinung, dass es noch wichtiger ist – und dies ist etwas, was wir oft unbeachtet lassen –, sich „mental“ auf diesen edlen Monat vorzubereiten, das heißt, dass du ihn in Sehnsucht nach seinen Tagen und seinen Nächten bereits erwartest und ihm entgegensiehst und dass du die Stunden zählst, die dich von ihm trennen, und äußerst ängstlich darum besorgt bist, ihn möglicherweise nicht mehr zu erleben.

 

Diesen Bewusstseinszustand zu erreichen ist schwer. Wer ihn jedoch vor Eintritt des Ramadân erreicht, wird von diesem edlen Monat wirklich profitieren. Und während er profitiert, wird er Genuss empfinden – in jedem einzelnen Moment dieses Monats.

 

Und ich habe festgestellt: Eine der leichtesten Methoden, um diesen einzigartigen Bewusstseinszustand zu erreichen, besteht darin, dass du dir intensiv vorstellst, dass der kommende Ramadân dein letzter Ramadân im diesseitigen Leben sein wird.

 

Unser Gesandter (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) hat uns angewiesen, häufig an den Tod zu denken. Er sagte: „Gedenkt häufig des Zerstörers der Genüsse!“ (Al-Albânî stufte den Hadîth als authentisch ein.)

 

Dabei hat er uns nichts Bestimmtes festgelegt, mittels dessen wir uns an den Tod erinnern sollen. So sagte er beispielsweise nicht, dass wir uns jeden Tag einmal, einmal in der Woche bzw. noch häufiger oder noch weniger an ihn erinnern sollen. Vielmehr hat er die Sache uns überlassen, sodass wir uns je nach Stärke unseres Glaubens darin unterscheiden. Und während sich ein Teil von uns nur an den Tod erinnert, wenn er Tote sieht, Kranke besucht oder Ermahnungen und Unterrichte hört, stellt man fest, dass Abdullâh ibn Umar sagte: „Wenn du den Morgen erreichst, so erwarte nicht den Abend, und wenn du den Abend erreichst, so erwarte nicht den Morgen!“ Diese aufklärenden Worte sprach er als Anmerkung für die folgenden Worte des geliebten Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken):

 

„Sei im Diesseits, als seiest du ein Fremder oder jemand, der eine Straße überquert!“ (Überliefert von Al-Buchârî.)

 

Ein weiterer Hadîth enthält einen Hinweis des Gesandten Allâhs (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken), dass man sich alle zwei Tage an die Toten erinnern sollte:

 

„Es ist nicht das Recht eines Muslims, dem etwas gehört, worüber er testamentarisch etwas anzuordnen hat, dass er zwei Nächte verbringt, ohne dass sich sein Testament schriftlich verfasst bei ihm befindet.“ (Überliefert von Al-Buchârî und Muslim.)

 

Also ist die Annahme, dass es sich beim kommenden Ramadân um den letzten Ramadân handeln könnte, eine wirklich realistische Annahme, und der Versuch, diesen Bewusstseinszustand zu erlangen, ist eine prophetische Forderung. Beispiele von tatsächlich erlebten Fällen bekräftigen und vertiefen dieses Gefühl noch. Denn wie viele Freunde und Bekannte befanden sich vergangenen Ramadân noch unter uns und gehören mittlerweile zu denen in den  Gräbern? Der Tod kommt unerwartet und niemand kehrt nach dem Tode je wieder ins diesseitige Leben zurück. Allâh der Erhabene, sagt:

 

„Wenn dann der Tod zu einem von ihnen kommt, sagt er: Mein Herr, bringt mich zurück, auf dass ich rechtschaffen handele in dem, was ich hinterlassen habe.  Keineswegs! Es ist nur ein Wort, das er (so) sagt; hinter ihnen wird ein trennendes Hindernis sein bis zu dem Tag, da sie auferweckt werden.“  (Sûra 23:99-100).

 

Die Rückkehr nach dem Tod ist unmöglich. Doch jeder, der verstorben ist, wird sich wünschen, noch einmal zurückzukehren; wenn er ein Sünder war, um Buße zu tun, und wenn er jemand war, der gut zu handeln pflegte, um noch mehr zu tun.

 

Wie wäre es also, wenn wir im letzten Teil des kommenden Ramadân sterben würden?

 

Auf jeden Fall werden wir uns wünschen, noch einmal zurückzukehren, um im Ramadân auf schöne Art und Weise zu fasten, sodass es uns in unseren Gräbern und in unserem jenseitigen Leben noch nützlicher sein wird.

 

Also sollten wir uns einmal vorstellen, als seien wir ins Leben zurückgekehrt und hätten die allerletzte Chance genutzt, um unser Leben in diesem letzten Monat zu verschönern und nachzuholen, was wir unser langes Leben lang verpasst haben und um der Waagschale mit unseren guten Taten mehr Gewicht zu verleihen und uns gut auf die Begegnung mit dem allbezwingenden Herrscher vorzubereiten!

 

Dies ist das Bewusstsein, durch das unsere Vorbereitungen sowie unsere Taten in diesem edlen Monat – so Allâh es zulässt – erfolgreich sein werden. Und dies ist nicht – wie manche es glauben – Pessimismus. Vielmehr motiviert diese Sichtweise zum Handeln, und sie motiviert zugleich zu Hingabe, Aufopferung, Geben und einzigartigen Leistungen. Die Muslime haben auf Grund dieser den Tod erwartenden und stets für die Begegnung mit Allâh vorbereiteten Sicht auf die Dinge viele militärische Eroberungen verwirklicht und die gesamte Erde lag ihnen zu Füßen.

 

Wie wundervoll doch die Worte sind, die das scharfe Schwert Allâhs, Châlid ibn Walîd zu Hurmuz, dem Anführer der Perser, sprach, als er die islâmische Armee beschrieb, die auf dem Weg ins Land der Perser war. Er sagte:

 

„Ich habe dir Männer gebracht, die den Tod so lieben, wie ihr das Leben liebt.“

 

Jene Männer, die den Tod liebten, erlangten wirklichen Ruhm und wirkliches Ansehen. Manche von ihnen starben als Märtyrer und die meisten von ihnen lebten auf der Erde, über die ihnen Macht verliehen wurde, als politische Herrscher der Erde. Doch niemals begehrten ihre Herzen das Diesseits; wie hätte es auch sein können, wo sie doch fest davon überzeugt waren, dass der Tod morgen oder übermorgen eintreffen könnte!

 

Und nun: Was würde ich tun, wenn ich wüsste, dass dies der letzte Ramadân wäre?

 

Wenn ich dies wüsste, so würde ich niemals irgendeine Pflicht, die Allah auferlegt, vernachlässigen und würde mich darum bemühen, sie auf schöne und korrekte Art und Weise zu erfüllen. Folglich würde ich meine rituellen Gebete nirgendwo anders verrichten als in der Moschee und mein Geist würde während des Gebets nicht mal hier und mal dort umherstreifen, sondern ich befände mich dabei in einem Zustand höchster Demut. Zudem würde ich es nicht zügig wie ein pickender Rabe verrichten, sondern es vielmehr in die Länge ziehen und sogar genießen. Der Gesandte Allahs (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken)sagte:

„[...] das rituelle Gebet ist mir eine Augenweide.“ (Überliefert von An-Nasâî, und Al-Albânî bewertete den Hadîth  als authentisch.)

 

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