Frieden auf einem Dach

2720 1353

Wir alle haben schon einmal gefühlstiefe Augenblicke erlebt. Ich erlebte einen derartigen Augenblick, als ich auf dem Dach der „Al-Haram-Moschee“ stand. Über mir war nur der Himmel, unter mir die wunderschönste Sicht auf die Ka'ba und eine durchdringende Andeutung Allâhs auf das Diesseits und das Jenseits. Ich war von einer riesigen Menschenmenge umgeben – wie es sie sonst nirgendwo auf dieser Erde gibt –, doch für mich war es so, als stünde ich völlig allein da. Nur mit Allâh.

 

Ich brachte so viel Kummer, Verwirrung und Zweifel mit auf dieses Dach. Ich kam mit so viel Schwäche, menschlicher Gebrechlichkeit und Schmerz. An einem Scheideweg in meinem Leben stehend brachte ich Angst mit mir vor dem, was kommen würde, und Hoffnung auf das, was kommen könnte. Als ich also auf diesem Dach stand, erinnerte ich mich an die Geschichte von Mûsâ , als dieser am Roten Meer stand. Seine äußeren körperlichen Augen sahen nichts als eine Wasserwand, die ihn einschloss, während sich eine Armee näherte. Doch sein inneres geistiges Auge sah einzig Allâh und einen Ausweg, so sicher, als hätte er ihn bereits beschritten. Während die Stimmen seines Volkes – bar jeden Vertrauens und jeder Hoffnung – nur davon sprachen, eingeholt zu werden, wankte Mûsâ nicht.

 

Als ich dort stand, hörte ich die entfernten Stimmen, die mich davor warnten, was kommen würde – doch mein Herz hörte nur „…Keineswegs! Denn mit mir ist mein Herr; Er wird mich leiten.“ (Sûra 26:62).

 

Die uns umgebenden Sinnestäuschungen der Bedrängnis, Verwirrung und des Schmerzes, kann man allerdings nur verstehen, wenn man seinem Herzen erlaubt, sich darauf zu konzentrieren. Die Grundlage des Islâm ist der absolute Monotheismus. Doch Monotheismus bedeutet nicht nur zu sagen, dass Allâh der Eins-Seiende ist. Es geht wesentlich tiefer. Es geht um das Eins-Sein von Zweck, Furcht, Anbetung und vollkommene Liebe zu Allâh. Es geht um das Eins-Sein von Vision und Konzentration. Es geht darum, seinen Blick auf einen einzigen Punkt zu richten und allem anderen zu erlauben, diesen Platz einzunehmen.

 

Eine der schönsten Überlieferungen des Propheten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) erfasst dieses Konzept perfekt. Er (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte: „Wessen einzige Sorge das Jenseits ist, dem nimmt Allâh die Sorgen vom Herzen, regelt seine Angelegenheiten, und das Diesseits kommt zu ihm, obwohl er ihm abgeneigt ist. Und wer auch immer das Diesseits zu seiner Sorge macht, den lässt Allâh Armut vor Augen haben, macht seine Angelegenheiten zunichte, und nichts vom Diesseits kommt zu ihm, außer das, was für ihn bestimmt ist.“ (At-Tirmidhi, schwacher Hadîth).

 

Wer jemals ein „Magisches Auge“-Bild gesehen hat, kann eine wundervolle Metapher dieser Wahrheit erkennen. Auf den ersten Blick sieht das Bild lediglich wie eine Sammlung von Formen aus, ohne Anordnung und Zweck. Doch wenn man das Bild dicht vor sein Gesicht bringt und dann sein Auge auf einen einzigen Punkt fokussiert und dabei das Bild langsam von seinem Gesicht wegbewegt, dann wird das Bild plötzlich klar. Doch sobald man seinen Blick von diesem einzigartigen Konzentrationspunkt abwendet, verschwindet das Bild und wird abermals zu einem Meer von Formen.

 

In der gleichen Weise werden, je mehr wir uns auf das Diesseits konzentrieren, umso mehr Angelegenheiten zunichte gemacht. Je mehr wir dem Diesseits hinterherrennen, desto mehr rennt es uns davon. Je mehr wir nach Reichtum jagen, desto mehr Armut verspüren wir paradoxerweise. Wenn Geld das Hauptaugenmerk ist, dann wird man sehen, dass man immer fürchtet, es zu verlieren, und zwar unabhängig davon, wie viel Geld man besitzt. Dieser beherrschende Gedanke ist Armut an sich. Aus diesem Grund sagte der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken), dass derartige Leute die Armut immer vor ihren Augen haben. Sie ist alles, was sie sehen. Gleich wie viel sie besitzen, sie sind nicht zufrieden und gieren lediglich nach mehr und haben Angst vor Verlust. Diejenigen hingegen, die sich auf Allâh konzentrieren, zu denen kommt das Diesseits und Allâh legt Zufriedenheit in ihre Herzen. Selbst wenn sie weniger haben, fühlen sie sich reich und sind eher dazu bereit, von diesem Reichtum abzugeben.

 

Wenn nun derartige Menschen sich vom Leben durch finanzielle Not, durch Schmerz, durch Einsamkeit, durch Furcht, durch großen Kummer oder durch Traurigkeit in die Enge getrieben fühlen, dann müssen sie sich lediglich Allâh zuwenden, und Er bietet ihnen immer einen Ausweg. Wisse, dass dies nicht irgendeine Wohlfühl-Theorie ist! Es ist eine Verheißung. Eine Verheißung, die von Allâh Selbst verheißen wird, Der im Qurân sagt:

 

„…Und wer Allâh fürchtet, dem schafft Er einen Ausweg und gewährt ihm Versorgung, von wo (aus) er damit nicht rechnet. Und wer sich auf Allâh verlässt, dem ist Er seine Genüge…“ (65:2-3).

 

Allâh genügt ihnen. Allâh ist ihre Genüge. Für jene, die Allâh zu ihrem Hauptaugenmerk machen, gibt es nur Frieden, da ja, was auch immer ihnen im Diesseits geschieht, gut ist und als der Wille Allâhs akzeptiert wird. Stell dir vor, nur Gutes im Leben zu haben! So ergeht es diesen Gläubigen, wie der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte: „Wie bewundernswert ist die Angelegenheit des Gläubigen! All seine Angelegenheiten sind gut für ihn. Das gilt allein für den Gläubigen; wenn ihm etwas Erfreuliches geschieht, ist er dankbar, und das ist gut für ihn. Und wenn ihm etwas Unangenehmes geschieht, ist er geduldig, dann ist das gut für ihn." (Muslim).

 

Und deshalb befindet sich im Herzen eines derartigen Gläubigen eine Art Paradies. Dies ist das Paradies, von dem Ibn Taimiyya () sprach, als er sagte: „Es gibt wahrhaftig ein Paradies im Diesseits, (und) wer es nicht betritt, wird das Paradies des Jenseits nicht betreten.“

 

In diesem Paradies ist völliger Friede keine Angelegenheit eines Augenblicks. Er ist ein immerwährender Zustand. 

 

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