Lügen: Islâmische Sichtweise

22156 111

Was bedeutet Lügen?

Lügen ist das komplette Gegenteil von Wahrheit. Demnach ist alles, was unwahr und wissentlich beabsichtigt ist, einen anderen Menschen in die Irre zu führen, eine Lüge. So kann eine Lüge irgendetwas Ausgesprochenes oder Geschriebenes sein, das völlig oder teilweise haltlos, irreal, erfunden, verfälscht oder übertrieben ist. Wenn jemand beispielsweise absichtlich behauptet, dass ein eineinhalb Meter hoher Pfosten ein drei Meter hoher Pfosten sei, dann wäre dies eine Lüge. Jemanden unverhältnismäßig zu preisen ist ebenfalls eine Art Lüge.

Lügen: Eine Krankheit des Herzens

Lüge und Falschheit sind weitverbreitete Probleme und die Wurzeln anderer Probleme, die auf individueller und kollektiver Ebene auftreten. Lügen werden in den Medien, in der Politik, im Geschäftsleben und in persönlichen Beziehungen von Muslimen und Nicht-Muslimen gleichermaßen ausgesprochen und niedergeschrieben, auch wenn das Ausmaß, die Stärke und die Häufigkeit unterschiedlich sein können. 

Das Lügen läuft der menschlichen Natur und Physiologie zuwider und wie jede andere Krankheit besitzt es seine eigenen Anzeichen und Symptome. Der Vorgang des Lügens verursacht innere Konflikte zwischen verschiedenen Kontrollzentren des Gehirns. In dem Augenblick, in dem man zu lügen beginnt, sendet der Körper widersprüchliche Signale aus, die ein Zucken der Gesichtsmuskeln, Erweitern und Zusammenziehen der Pupillen, Schweiß, Rotwerden, erhöhtes Augenzwinkern, Zittern der Hand und erhöhte Herzschlagfrequenz verursachen. Diese Faktoren stellen die Basis von Lügendetektoren dar. Zudem sind bei lügenden Menschen bestimmte unbewusste Bewegungen erkennbar, wie beispielsweise ständiges Mundbedecken, Naseberühren, Augenreiben, Halskratzen, Ohrenreiben usw. Eines der offensichtlichsten Zeichen ist, dass der Lügner seine Handflächen geschlossen hält und in eine andere Richtung als in die der Person, die er anlügt, blickt, mit dem Versuch, Blickkontakt zu meiden. Ein Lügner ist sich seiner Körpersignale bewusst und empfindet, dass es einfacher ist zu lügen, wenn ihn niemand dabei sehen kann, wie beispielsweise am Telefon oder beim Schreiben.

Was sind die Motive eines Lügners?

Ein Lügner lügt aus folgenden Gründen:

a) Um die Wahrheit zu verbergen, da er möglicherweise Angst vor der Wahrheit, deren rechtlichen Folgen oder der Strafe durch bestimmte Einzelpersonen hat.

b) Um andere zu betrügen und zu täuschen und deren Leid zu genießen, wie es der Satan mit Adam tat. 

c) Für kurzfristige weltliche Gewinne, wie beispielsweise die Gunst anderer oder geldliche Gewinne.

Formen des Lügens

Die schlimmste Form des Lügens ist das Lügen über Allâh und Seinen Gesandten (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken), sprich ihnen falsche Dinge zuzuschreiben. Allâh der Allmächtige sagt im Qurân: „Und wenn er sich gegen Uns einige Aussprüche selbst ausgedacht hätte, hätten Wir ihn sicherlich an der Rechten gefasst und ihm hierauf sicherlich die Herzader durchschnitten,“ (Sûra 69:44-46) und: „…Und verheimlicht kein Zeugnis. Wer es aber verheimlicht, dessen Herz ist gewiss sündhaft…“ (Sûra 2:283) und: „Und verdeckt nicht das Wahre durch das Falsche, und verschweigt nicht die Wahrheit, wo ihr doch wisst!“ (Sûra 2:42).

Heuchler sind ebenfalls Lügner, da sie sich selbst betrügen. Allâh sagt Folgendes über sie:

„In ihren Herzen ist Krankheit, und da hat Allâh ihnen die Krankheit noch gemehrt. Für sie wird es schmerzhafte Strafe dafür geben, dass sie zu lügen pflegten.“ (Sûra 2:10). Allâh sprach außerdem Seinen Gesandten Muhammad (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) direkt an: „…Allâh weiß, dass du fürwahr Sein Gesandter bist; doch Allâh bezeugt, dass die Heuchler wahrlich lügen.“ (Sûra 63:1).

Der Qurân über Lügner:

Allâh sagt: „…Gewiss, Allâh leitet nicht recht, wer maßlos und verlogen ist.“ (Sûra 40:28).

Und: „…Gewiss, Allâh leitet nicht recht, wer ein Lügner und beharrlicher Ungläubiger ist.“ (Sûra 39:3).

Allâh der Allmächtige sagt zudem: „…der Fluch Allâhs komme auf ihn, wenn er zu den Lügnern gehören sollte.“ (Sûra 24:7).

Der Gesandte Allâhs über Lügen und Lügner:

Der Prophet Muhammad (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte:

„Wahrhaftigkeit führt gewiss zu Tugendhaftigkeit und Tugendhaftigkeit führt zum Paradies. Und ein wahrhafter Mensch spricht fortdauernd die Wahrheit, bis er zum wahrhaftesten Menschen wird. Lügen führen zu Unheil und Unheil führt zur Hölle. Und ein Lügner lügt fortdauernd, bis er bei Allâh als hochgradiger Lügner verzeichnet wird.“ (Überliefert von Al-Buchârî).

Yûsuf ibn Abdullâh sagte, dass er den Propheten Muhammad (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) fragte: „O Gesandter Allâhs! Was ist deiner Ansicht nach die entsetzlichste Sache für mich?“ Yûsuf fuhr fort: „Der Gesandte ergriff seine Zunge und sagte: ‚Dies!‘“ (Überliefert von At-Tirmidhî).

Bahz ibn Hakîm berichtete, dass der Gesandte (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte: „Es bedeutet den Untergang für jemanden, der Lügen erzählt, um andere Leute zu amüsieren. Für ihn ist der Untergang.“ (Überliefert von At-Tirmidhî).

Sufyân ibn Usaid berichtete, dass der Gesandte (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte: „Der größte Vertrauensbruch ist, dass man seinem Bruder etwas erzählt, wovon er glaubt, es sei wahr, obwohl man ihn angelogen hat.“ (Überliefert von Abû Dâwûd).  

Ist Lügen jemals berechtigt?

Es gibt im Islâm einige sehr wenige Rechtfertigungen für das Lügen. Der Prophet (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) wies uns an, die Wahrheit zu sagen, selbst unter rauesten Bedingungen der Unterdrückung. Allerdings kann man sich in folgenden Situationen dazu entschließen, nicht die Wahrheit zu sagen: 

- Man wird unterdrückt und es besteht wirklich Lebensgefahr, falls man die Wahrheit sagt. Scheich As-Sa’dî () berichtete folgenden Vorfall: „Ein grausamer König befahl, dass ein unschuldiger Dorfbewohner vor Gericht aus Mangel an Anstand hingerichtet werden solle. Als der Dorfbewohner dies hörte, begann er, in seiner Muttersprache den König zu verfluchen. Der König forderte von seinem Minister, der die Sprache des Mannes verstand, ihm zu übersetzen, was der Mann sagt. Der weise Minister erzählte dem König, anstatt die Wahrheit zu sagen, dass dem Mann sein Verhalten sehr leidtue, dass er seine Großartigkeit preise und um seine Gnade flehe. Der König war beeindruckt und verschonte das Leben des unschuldigen Dorfbewohners.“ Scheich As-Sa’dî nannte dies eine „weise Lüge“.

- Um zwischen Ehepartnern Harmonie zu fördern. Wenn beispielsweise die Ehefrau fragt, ob sie hübsch sei oder ob man sie liebe, dann schadet es nicht, dies bejahend zu beantworten, selbst wenn dies nicht der Fall ist.

- Um zwischen zwei zerstrittenen Parteien Frieden zu schlichten, damit die Quälerei sich nicht zu etwas Schlimmerem entwickelt. Der Vermittler darf in diesem Fall fälschlicherweise einer Partei sagen, dass die andere von ihr in den höchsten Tönen spricht.

- Um Glaubensverweigerer dazu zu bringen, die Wahrheit zu erkennen. Als der Prophet Abraham (Friede sei mit ihm) alle Götzen außer den größten zertrümmert hatte, betraten die Ungläubigen den Tempel und sahen die zerschlagenen Götzen. Abraham (Friede sei mit ihm) hatte die Axt in die Hand des Hauptgötzen gelegt. Die Ungläubigen fragten: „Wer hat unsere Götter zerschlagen?“ Er (Friede sei mit ihm) sagte: „Fragt den Hauptgötzen, er hat die Axt!“ Sie antworteten: „Weißt du denn nicht, dass er nicht sprechen oder etwas tun kann?“ Abraham (Friede sei mit ihm) antwortete: „Dies habe ich euch gesagt! Betet deshalb Allâh an anstatt diese Steine, die euch weder schaden noch nützen können!“

Vorteile, die Wahrheit zu sagen

Wahrhaftigkeit wird von Allâh als ein Teil des Glaubens angeordnet und ist eine unverzichtbare Eigenschaft der Gläubigen. Sie wird an über einhundert Stellen im Qurân erwähnt. Einige Beispiele sind folgende Aussagen Allâhs des Allmächtigen:

„Damit Allâh den Wahrhaftigen ihre Wahrhaftigkeit vergelte…“ (Sûra 33:24).

„O ihr, die ihr glaubt, fürchtet Allâh und seid mit den Wahrhaftigen!“ (Sûra 9:119).

„O die ihr glaubt, fürchtet Allâh und sagt treffende Worte,“ (Sûra 33:70).

„Die Standhaften und die Wahrhaftigen, die demütig Ergebenen und diejenigen, die ausgeben, und die im letzten Teil der Nacht um Vergebung Bittenden.“ (Sûra 3:17).

„Die (wahren) Gläubigen sind ja diejenigen, die an Allâh und Seinen Gesandten glauben und hierauf nicht zweifeln und sich mit ihrem Besitz und mit ihrer eigenen Person auf Allâhs Weg abmühen. Das sind die Wahrhaftigen.“ (Sûra 49:15).

Es ist nicht notwendig, Hadîthe über die Wahrhaftigkeit des Propheten Muhammad (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) zu erwähnen, da sein ganzes Leben ein Inbegriff an Wahrhaftigkeit war. Der Prophet Muhammad (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) wurde sogar als wahrhaftige Person bestätigt, bevor er Prophet wurde. Während seiner Prophetenschaft bestätigten selbst seine Feinde, dass er wahrhaftig und vertrauenswürdig ist. Einige Ungläubige hinterlegten als Indiz für ihr Vertrauen in ihn ihre Besitztümer bei ihm.

Verwandte Artikel