Bereits in unserer Kindheit haben wir den Unterschied zwischen gut und schlecht gelernt. Die Formel ist einfach. Wenn etwas Gutes geschieht, dann sind wir glücklich. Wenn etwas Schlechtes geschieht, dann sind wir traurig. Und das Kriterium ist klar. Bei Gutem geht es um Beschaffung. Wir arbeiten hart, um Ergebnisse zu sehen, die gewogen und gemessen werden können. Jemand, der beispielsweise eine Million Dollar gewinnt, wird als glücklich angesehen. Jemand, der all seinen Besitz verliert, ist unglücklich.
Vor vielen Jahren lebte ein Volk, das genauso dachte. Qârûn war ein sehr reicher Mann, der zur Zeit Mose (Friede sei mit ihm) lebte. Qârûn wurden so viele Schätze gewährt, dass allein schon die Schlüssel zu diesen Schätzen „… eine schwere Last für eine (ganze) Schar kräftiger Männer gewesen wären…“ (Sûra 28:76). Der Qurân erzählt seine Geschichte und die seiner Mitmenschen:
„Und so trat er zu seinem Volk in seinem Schmuck heraus. Diejenigen, die das diesseitige Leben begehrten, sagten: O hätten doch (auch) wir das Gleiche wie das, was Qârûn gegeben worden ist! Er hat wahrlich gewaltiges Glück. Aber diejenigen, denen das Wissen gegeben worden war, sagten: Wehe euch! Allâhs Belohnung ist besser für jemanden, der glaubt und rechtschaffen handelt. Aber es wird nur den Standhaften dargeboten.“ (Sûra 28:79-80).
Doch bald schon wurde die wirkliche Lage Qârûns deutlich, und jene Menschen, die einst seine Stellung beneidet hatten, erkannten, wer in Wahrheit die Glücklichen sind:
„Da ließen Wir mit ihm und mit seiner Wohnstätte die Erde versinken. Und da hatte er weder eine Schar, die ihm vor Allâh half, noch konnte er sich selbst helfen. Und diejenigen, die sich am Tag zuvor (an) seiner) Stelle (zu sein) gewünscht hatten, begannen zu sagen: Ah sieh! Allâh gewährt die Versorgung großzügig, wem von Seinen Dienern Er will, und bemisst auch. Wenn Allâh uns nicht eine Wohltat erwiesen hätte, hätte Er uns wahrlich (auch) versinken lassen. Ah sieh! Den Ungläubigen wird es nicht wohl ergehen.“ (Sûra 28:81-82).
Das geläufige Kriterium von Gut und Schlecht scheint, wie für das Volk Qârûns, simpel zu sein. Es ist jedoch auch völlig falsch. Gemäß diesem Kriterium wird Wohlergehen hauptsächlich dadurch definiert, wie viel man besitzt, während Armut als Verlust oder Mangel dessen definiert wird, was man besitzen kann. Und doch ist die wahre Definition von Wohlergehen – wie sie uns unser Schöpfer gibt – ganz anders:
„Jede Seele wird den Tod kosten. Und erst am Tag der Auferstehung wird euch euer Lohn in vollem Maß zukommen. Wer dann dem (Höllen)feuer entrückt und in den (Paradies)garten eingelassen wird, der hat fürwahr einen Erfolg erzielt. Und das diesseitige Leben ist nur trügerischer Genuss.“ (Sûra 3:185).
Demnach können wir im Diesseits leben und all die erträumten Güter und Besitztümer des Blendwerks besitzen, jedoch das Ziel unseres Daseins völlig verfehlt haben. Und wenn, wie Allâh uns berichtet, der Zweck unseres Daseins ist: „… damit sie Mir dienen“ (Sûra 51:56), dann würde dies bedeuten, dass lediglich das, was uns diesem Ziel näher bringt, ein Segen ist, während das, was uns von diesem Ziel entfernt, die größte Katastrophe ist – ganz gleich, worum es sich hierbei auch handelt. Und so kann es sein, dass der Verlust von all unserem geliebten Hab und Gut eigentlich der größte Segen Allâhs ist. Könnte es einen größeren Segen geben, wo doch dieser Verlust uns dem eigentlichen Zweck unserer Schöpfung näher bringt?
Aus diesem Grund sagte Allâhs Gesandter (möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken): „Wenn Allah jemandem Gutes tun will, dann plagt Er ihn mit Versuchungen.“ (Al-Buchârî).
Und Allâh sagt im Qurân: „Und Wir haben in keine Stadt Propheten gesandt, ohne dass Wir über ihre Bewohner Not und Leid hätten kommen lassen, auf dass sie in Unterwürfigkeit flehen mögen.“ (Sûra 7:94).
Allâh tut dies tatsächlich auf Grund Seiner Barmherzigkeit zu diesen Menschen. Denn was stellt die größere Tragödie dar: Ein Volk mit Ungemach und Versuchungen zu plagen, bis es demütig wird, oder ihm allen Wohlstand und Leichtigkeit zu gewähren, bis es hochmütig wird?
Die Korrektur unseres Kriteriums stellt zwar eine Herausforderung dar, ist jedoch absolut notwendig. Nur wenn wir die uns umgebenden irreführenden Definitionen durchbrechen, können wir uns richtig orientieren, uns auf die wahre Prüfung vorbereiten und stets darauf hoffen, wahres Wohlergehen im Diesseits und im Jenseits zu erlangen.