Vom Gewand der Gottesfurcht: Wovor fürchten wir uns? Teil 1

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Es gibt eine berühmte Geschichte von einem König. Dieser war grausam und ungerecht zu seinem Volk. Also beschloss ein Schneider, ihm einen Streich zu spielen. Er ging zum König und bot an, ihm die schönsten Kleider aller Zeiten zu schneidern. Aber anstatt ein Gewand für ihn zu machen, tat er nur so. Er hielt den König zum Narren und ließ ihn glauben, dass er hart arbeitete, während er sich reichlich Zeit ließ. Schließlich, nach längerer Zeit, gab er dem König eine Handvoll Luft und sagte, dies sei die beste Kleidung, die je hergestellt wurde. Er sagte, die Kleider seien so fein, dass man sie beim Tragen nicht spüre. Der König war geblendet von seiner eigenen Arroganz und wollte in den Augen des Schneiders nicht dumm erscheinen. Also zeigte er sich überglücklich über den neuen Anzug und ordnete eine Parade in der Stadt an, um seinen Untertanen sein neues Erscheinen zu zeigen.

Natürlich waren alle zu ängstlich, um dem Tyrannen zu sagen, dass er tatsächlich nackt war. Stattdessen salutierten sie und schmeichelten ihm – alle bis auf einen Jungen. Er war zu klein, um die gesellschaftlichen Konventionen zu kennen oder Angst vor Gewaltherrschaft zu empfinden. Daher sprach er die Wahrheit offen aus und sagte, was andere nicht wagten. Erstaunlicherweise ließ diese Tat, zumindest für einen Augenblick, die Angst der Menschen verschwinden. Furcht überwältigte den Kaiser. Er war verwirrt und stumm. Seine überraschten Untertanen hingegen vergaßen ihre Sorge. Sie spotteten und lachten über das, worauf er hereingefallen war.

Der König mag von seinem eigenen Hochmut geblendet erscheinen, doch eigentlich waren es seine eigenen Ängste, die ihn geblendet hatten. Er fürchtete die Meinung seiner Untertanen, und diese wurden ebenfalls durch ihre eigenen Ängste zurückgehalten. Die Realität zeigte, dass seine Arroganz kein Zeichen von Stärke war, sondern eines von Schwäche.

Diese Geschichte zeichnet eine Gesellschaft, die aus Schwäche und Angst heraus gelähmt ist – all das aufgrund einer inneren Haltung, die sich kritiklos an die äußere Lage gewöhnt hatte. Diese alte Erzählung ist für unsere Zeit von besonderer Bedeutung. Wir leben in einer Zeit, in der es so viele Zwänge gibt, sich den Bildern in den Medien und dem Lebensstil unserer nichtmuslimischen Altersgenossen anzupassen. Manchmal stellen wir verblüfft fest, dass wir die gleiche Art von ordinärer Sprache und dieselben Gewohnheiten in unserer Freizeit übernommen haben.

Früher haben wir uns vielleicht Sorgen gemacht, wenn die Kollegen in unserer Nähe Alkohol tranken. Jetzt aber haben wir uns daran gewöhnt. Vielleicht tragen wir enge oder freizügige Kleidung (sowohl Männer als auch Frauen), weil wir uns sonst altmodisch fühlen. Vielleicht haben wir Angst davor, etwas in unserer Umgebung zu verändern, entgegen den Erwartungen der Gesellschaft und der Welt um uns herum. All das hat seinen Ursprung in Angst: einer Angst, die Wahrheit zu suchen, selbst wenn Unwahrheit vorherrscht und selbst wenn diese Suche zu schwierigen Antworten führen könnte. Ich spreche von einer Angst, die uns daran hindert, Fragen zu stellen, warum die Einstellungen der Menschen so geworden sind, wie sie sind, und die bei manchen Menschen das verzweifelte Gefühl hervorruft, dass wir in Isolation leben, obwohl wir heute mehr technische Möglichkeiten haben, die uns verbinden, als jemals zuvor.

Ich spreche von der Angst, den großen Gelehrten und Wissenschaftlern der Vergangenheit des Islâms nachzueifern. Diese Männer waren Pioniere in weltlichen und intellektuellen Bereiche – Vorreiter, die das Wissen als Ausdruck der Anbetung Allâhs liebten. Ich denke, wir haben Angst, ihnen nachzueifern. Doch für eine solche Angst gibt es keinen Grund. Angst stammt aus der menschlichen Verwundbarkeit. Wenn wir nach einer Qurân-Stelle suchen, in der die menschliche Verletzlichkeit zum ersten Mal thematisiert wird, dann könnte man Sûra 7:20 zitieren. In diesem Vers wirkt Satan auf Adam und Eva mit einem psychologischen Trick. Er bringt sie dazu, das Bedürfnis zu verspüren, ihre Körper mit Kleidung zu bedecken, wobei sie vorher ein solches Bedürfnis nicht kannten und Allâh ihnen auch nicht die Herstellung von Kleidern aufgetragen hatte. Was war geschehen? Satan hatte geschworen, sie (einschließlich ihrer Nachkommen) anzugreifen: „von vorn und von hinten, von ihrer Rechten und von ihrer Linken“ (Sûra 7:17) – also aus jedem Winkel, um herauszufinden, wie die Menschen funktionieren und zu lernen, welche „Knöpfe“ er bei uns betätigen müsste. So wurde der Satan mit den menschlichen Schwächen und der körperlichen Unvollkommenheit vertraut und zeigte diese Adam und Eva. Als wir auf diese Erde kamen, geschah dies in einem Zustand der Verletzlichkeit und in vollem Bewusstsein unserer körperlichen Begierden. Dies ist eine der Grundlagen dafür, dass wir geprüft werden.

Was tat Allâh dann? Er versprach uns, als wir auf die Erde kamen, das Wissen, wie man Kleidung und schönen Schmuck herstellt. Aber Er sprach vor allem davon, dass „die Gewänder der Taqwâ“ die besten seien (Sûra 7:26). Normale Kleidung dient dem Menschen dazu, seine Nacktheit und Verwundbarkeit gegenüber anderen zu bedecken. Aber was ist die Kleidung der Taqwâ in unserer Beziehung zu Gott?

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