Wann dürfen Versprechen gebrochen werden? Fatwâ-Nummer: 493552
- Fatwâ-Datum:24-10-2024
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Mein Mann hält sich nicht an Vereinbarungen und nie tut er das, was wir ausgemacht haben − und dies bereits seit unserer Heirat. Immer wenn ich mich auf etwas vorbereite, was wir vereinbart haben, leugnet er es ab oder sagt einfach „Vergiss es, ich mache, was ich will“. Meine Kinder spüren, was ihr Vater macht, denn auch ihnen verspricht er oftmals etwas, das er dann nicht hält. Ich habe genug von dieser Behandlung und kann ihm und seinen Worten diesbezüglich nicht mehr trauen. Wie beurteilt der Islâm so etwas? Sind die Vereinbarungen zwischen mir und ihm nicht wie ein Versprechen zu bewerten?
Der Lobpreis gebührt Allâh und möge Allâh Seinen Gesandten sowie dessen Familie und Gefährten in Ehren halten und ihnen Wohlergehen schenken!
Die Erfüllung von Versprechen ist eine Eigenschaft der Mu‘minûn. Der Bruch eines Versprechens ohne Entschuldigungsgrund gehört zu den Eigenschaften der Heuchler. In den beiden Sahîh-Werken wird von Abû Huraira überliefert, dass der Prophet (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte: „Die Zeichen des Heuchlers sind drei: Wenn er spricht, dann lügt er. Wenn er etwas verspricht, dann bricht er sein Versprechen. Und wenn ihm etwas anvertraut wird, so betrügt er.“
Wer jemandem etwas verspricht und fest entschlossen ist, dies auch zu erfüllen, sich aber dann etwas ergibt, was einen Bruch des Versprechens erfordert, der ist entschuldigt und trägt nicht die Eigenschaft der Heuchler in sich.
Der hanbalitische Gelehrte Ibn Radschab (Allâh erbarme sich seiner) meint in „Dschâmi Al-Ulûm wa Al-Hikam“: „Der Ausdruck ‚Wenn er etwas verspricht, dann bricht er sein Versprechen‘ beinhaltet zweierlei: Erstens: Er verspricht etwas und hat dabei die Absicht, dieses Versprechen gar nicht zu erfüllen. Das ist die schlimmste Form, ein Versprechen zu brechen. Wenn er also sagt ‚Ich werde das tun − in-schâ Allâh ta‘âlâ und er sich dabei vornimmt, es nicht zu tun, ist es eine Lüge und ein Bruch des Versprechens. So sagte es Al-Auzâî. Zweitens: Er verspricht etwas und beabsichtigt dabei, es einzuhalten. Dann aber fällt ihm etwas ein und er bricht das Versprechen, ohne dass er dafür einen Entschuldigungsgrund hätte.“
Al-Ainî (Allâh erbarme sich seiner) meint in „Umda Al-Qârî Scharh Sahîh Al-Buchârî“: „Mit der Aussage ‚Wenn er etwas verspricht, dann bricht er sein Versprechen‘ hat er auf eine verdorbene Absicht hingewiesen. Ein gegebenes Versprechen wird nämlich dadurch gebrochen, dass man dies schon beim Versprechen beabsichtigt. Wenn man jedoch etwas beabsichtigt, dann aber ein Hindernis dazwischenkommt oder man seine Meinung ändert, dann findet sich darin nicht die Eigenschaft der Heuchelei. Belegt wird dies durch eine längere Überlieferung bei At-Tabarânî (die Tradentenkette ist fehlerlos), die auf Salmân (möge Allâh mit ihm zufrieden sein) zurückgeht: ‚Wenn er ein Versprechen gibt und seine Seele ihm dabei eingibt, dass er es brechen soll (...).‘ Der gleiche Ausdruck wird bei den übrigen Eigenschaften verwendet. Die Gelehrten sagten: Bei Schenkungen und anderen Handlungen ist es stark erwünscht (mustabb), das Versprechen zu halten. Ein solches Versprechen zu brechen ist makrûh tanzîhan (besser zu unterlassen), jedoch noch nicht harâm (makrûh tahrîman).“
Wenn der Ehemann seiner Frau ein Versprechen macht, in der Absicht, es zu erfüllen, es sich dann aber herausstellt, dass das Gegenteil von größerem Nutzen ist, oder wenn ihn etwas an der Erfüllung hindert, so ist daran nichts auszusetzen. Hat er jedoch schon beim Versprechen die Absicht, es gar nicht auszuführen oder unterlässt er die Erfüllung grundlos, wird er dafür zur Rechenschaft gezogen, es sei denn, es handelt sich um etwas, das ihn nicht verpflichtet, und er hatte lediglich die Absicht, seine Zuneigung zu zeigen oder zu besänftigen. In diesem Fall ist nichts dagegen einzuwenden. Ein Ehemann darf in solchen Angelegenheiten mit seiner Ehefrau solche (kleineren) Unwahrheiten einsetzen.
Im „Sahîh Muslim“ wird von Umm Kulthûm bint Uqba (möge Allâh mit ihr zufrieden sein) berichtet, dass sie den Gesandten Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagen hörte: „Lügner ist nicht derjenige, der zwischen den Menschen versöhnt und dabei gute Dinge sagt und Gutes verbreitet.“ (Sie sagte weiter): „Und ich habe nicht gehört, dass er in etwas, das die Menschen als Lüge bezeichnen, eine Erlaubnis gab, außer in drei Fällen: Krieg, Versöhnung zwischen Menschen, und was der Ehemann seiner Frau und die Ehefrau ihrem Mann sagt.“
An-Nawawî (Allâh erbarme sich seiner) bemerkt in seinem Kommentar zum „Sahîh Muslim“: „Wenn er (der Ehemann) seiner Frau die Unwahrheit sagt und sie ebenfalls, so geht es hier um Fälle, wo Zuneigung gezeigt wird oder um Versprechungen, die eigentlich nicht verpflichtend sind u. ä. Was aber das Täuschen anbelangt, weil jemand verweigern will, was ihm (oder ihr) verpflichtend ist, oder er nehmen will, was ihm (oder ihr) nicht zusteht, so ist das nach dem Konsens der Muslime harâm.“
Eine Ehefrau sollte von ihrem Mann gut denken und nach Entschuldigungen für ihn suchen. Ebenso muss der Ehemann sich bemühen, seine Versprechen gegenüber seiner Frau und den Kindern einzuhalten, und sich davor hüten, Versprechen grundlos zu brechen. Dies gilt besonders gegenüber kleinen Kindern, damit diese nicht das Vertrauen in ihren Vater verlieren und leichtfertig beim Erzählen von Unwahrheiten werden. Bei At-Tabarânî heißt es in „Al-Mudscham Al-Kabîr“, dass Ibn Mas‘ûd überlieferte: „Weder im Scherz noch im Ernst ist es richtig, eine Lüge zu erzählen oder niemand unter euch darf seinem Kind etwas versprechen und es dann nicht halten.“
Und Allâh weiß es am besten!