Die Ehrerbietung gegenüber den Eltern ist eine der ehrenvollsten gottesdienstlichen Handlungen und eine große Verantwortung. Hierbei handelt es sich um eine religiöse Pflicht und ein empfehlenswertes Mittel, Allâh dem Erhabenen näher zu kommen. Allâh erwähnt diese Verantwortung gemeinsam mit Tauhîd (Eingottglaube) und der Ibâda (Anbetung). Außerdem stehen die Rechte der Eltern in Verbindung zu den Rechten Allâhs über Seine Diener. Die Dankbarkeit gegenüber den Eltern entspricht der Dankbarkeit gegenüber Allâh laut mehreren Qurân-Versen. Allâh der Erhabene sagt: „Und dein Herr hat bestimmt, dass ihr nur Ihm dienen und zu den Eltern gütig sein sollt“ (Sûra 17:23). „Und dient Allah und gesellt Ihm nichts bei. Und zu den Eltern sollt ihr gütig sein“ (Sûra 4:36). „Sei Mir und deinen Eltern dankbar. Zu Mir ist der Ausgang“ (Sûra 31:14).
Der Prophet (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte: „Wer gegenüber seinen Eltern ungehorsam ist, betritt nicht das Paradies.“ Allâhs Gesandter teilte uns mit, dass der Ungehorsam gegenüber den Eltern und der Schirk zu den schwerwiegenden Sünden gehören.
Besser und schöner
Da die Ehrerbietung gegenüber den Eltern zu ihren Lebzeiten zu den besten Handlungen der Güte und den segensreichsten Taten der Rechtschaffenheit gehört, ist solch eine Haltung nach ihrem Ableben noch vollkommener und schöner, denn nach ihrem Tod besteht eine weitaus größere Notwendigkeit, ihnen Ehre zu erweisen. Dies stiftet ihnen großen Nutzen.
Stirbt ein Mensch, enden seine Taten. Er ist nicht mehr in der Lage, seiner Waage an guten Taten etwas hinzuzufügen. Das beste Geschenk, das ihm ein anderer Mensch machen kann, ist die Widmung der Belohnung einer guten Tat oder eine beständige Wohltätigkeit für den Verstorbenen und das Bittgebet für diesen. Die Rolle eines rechtschaffenen Kindes ist daher in dieser Hinsicht wichtig. Der Prophet (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte: „Wenn der Sohn Adams (d. h. ein Mensch) stirbt, so kommen seine Werke zu einem Stillstand außer in drei Fällen: durch eine bleibende Spende, durch Wissen, das anderen weitergegeben wurde und durch ein rechtschaffenes Kind, das für ihn im Bittgebet um Gutes bittet“ (Muslim).
Wenn ein solches Kind im Namen seiner verstorbenen Eltern gute Taten vollbringt, ist das eine Erweiterung ihrer guten Taten, welche mit dem Tod ein Ende fanden. Die gewidmeten guten Taten des Kindes sind eine Quelle unerwarteter Belohnung für die Eltern. Es gewährt den verstorbenen Eltern Freude und Glück, erhebt ihren Rang im Paradies, Sünden werden vergeben und sie können dadurch sogar vor dem Höllenfeuer bewahrt werden.
Ehrerbietung nach dem Tod der Eltern
Einige Muslime haben es vielleicht versäumt, während ihres Lebens die vorgeschriebene Ehrerbietung gegenüber den Eltern zu zeigen. Womöglich wurde die Pflicht nicht so erfüllt, wie es sich gehört, und das gilt leider für viele von uns. Andere wiederum taten ihren Eltern Unrecht oder waren ihnen gegenüber ungehorsam und möchten dies bereuen und sühnen. Solche Menschen hoffen auf eine zweite Chance, ihren Eltern gegenüber wenigstens nach deren Tod die Pflicht zu erweisen. Auch gibt es Menschen, die ihren Eltern gegenüber völlig pflichtbewusst waren und alle Aufgaben gegenüber ihren Eltern erfüllt haben, während diese noch am Leben waren, doch möchten sie auch nach ihrem Tod Belohnung erhalten.
All diesen Menschen sei gesagt, dass Allâh der Erhabene als Ausdruck Seiner Barmherzigkeit die Ehrerbietung gegenüber den Eltern nicht auf deren Lebenszeit beschränkt hat und somit nicht mit dem Tod endet. Wer auch immer nach dieser Gnade sucht, so findet er sie auch nach dem Ableben der Eltern. Auf diese Weise öffnet Allâh der Erhabene die Tür, um sowohl für die Lebenden als auch für die Verstorbenen Nutzen zu bringen.
Abû Usaid As-Sâ’idî (möge Allâh mit ihm zufrieden sein) sagte: „Einst saßen wir beim Gesandten Allâhs (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) als ein Mann aus dem Salama-Stamm eintraf und ihn ansprach: ‚Gesandter Allâhs! Gibt es etwas, worum ich mich jetzt (noch) für meine Eltern über ihren Tod hinaus kümmern kann?‘ Der Prophet (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) antwortete: ‚Ja, wenn du für sie betest und um (Allâhs) Gnade und Vergebung für sie flehst, für sie Versprechungen und Vorhaben erfüllst und die Verwandtschaftsbande, die durch sie bestehen, pflegst und ihre Freunde achtest‘” (Abû Dâwûd und At-Tabarânî).
Formen der Ehrerbietung gegenüber verstorbenen Eltern
Der Prophet (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) erwähnte einige Formen der Ehrerbietung gegenüber den Eltern nach ihrem Ableben:
Erstens: Für die Eltern Bittgebete sprechen und um Vergebung bitten
Für die Eltern Bittgebete sprechen bedeutet, Allâh den Erhabenen zu bitten, die Eltern mit Gutem zu segnen, das sie im Jenseits erreicht und ihnen nützt. Hierzu gehören: das Grab der Eltern vergrößern und sie zu Gärten des Paradieses verwandeln, Glückseligkeit zuteilwerden lassen, die Annahme ihrer guten Taten, Gesellschaft mit Propheten, standhaften Befürwortern der Wahrheit, Märtyrern und der Rechtschaffenen. Wie großartig doch eine solche Gesellschaft an Gefährten und auch die Gesellschaft mit dem Propheten (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) in den höchsten Stufen des Firdaus sind.
Um Vergebung für die Eltern bitten heißt, dass man Allâh darum bittet, den eigenen Eltern zu verzeihen. Diese Form des Bittgebets ist das beste Bittgebet, denn die Propheten taten dies auch für ihre eigenen Eltern. Der Prophet Nûh (Noah – Friede sei auf ihm) sagte: „Mein Herr, vergib mir und meinen Eltern und demjenigen, der als Gläubiger mein Haus betritt, und den gläubigen Männern und den gläubigen Frauen“ (Sûra 71:28). Ibrâhîm (Abraham – Friede sei auf ihm) sagte: „Unser Herr, vergib mir und meinen Eltern und den Gläubigen an dem Tag, da die Abrechnung stattfinden wird“ (Sûra 14:41).
Der Prophet (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sah in einem solchen Bittgebet ein Zeichen für die Rechtschaffenheit eines Kindes, so wie es im Hadîth heißt: „… und durch ein rechtschaffenes Kind, das für ihn im Bittgebet um Gutes bittet“ (Muslim). Außerdem ist es ein Gebot Allâhs des Erhabenen für die Gläubigen, denn im Buch steht: „… und sag: ‚Mein Herr, erbarme Dich ihrer, wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein war‘“ (Sûra 17:23-24). Der Prophet (möge Allâh ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken) sagte gemäß einer authentischen Überlieferung: „Allâh der Erhabene wird einen rechtschaffenen Diener auf eine höhere Stufe im Paradies erheben. Dieser wird sagen: ‚O mein Herr! Wie habe ich diese Stufe verdient?‘ Er wird sagen: ‚Dein Kind hat für dich um Vergebung gebeten‘“ (Musnad Ahmad; authentisch).
Zweitens: Die Erfüllung ihrer Versprechen
Einige Gelehrte sagten, dass sich der Hadîth speziell auf die Wasiyya (Testament oder Vermächtnis) bezieht, aber die korrekte Meinung ist, dass ein Versprechen allgemeiner ist als die Wasiyya, obwohl diese das wohl wichtigste Versprechen ist, welches erfüllt werden muss. Hat ein Verstorbener ein Vermächtnis von einem Drittel des Vermögens oder weniger gemacht, ist es Pflicht, diesem nachzukommen. Übersteigt es hingegen ein Drittel, ist den Erben empfohlen, aus Ehrerbietung gegenüber dem Verstorbenen das Vermächtnis zu erfüllen, doch ist es weder Pflicht noch zwingend.
Die in diesem Zusammenhang enthaltenen Formen des Versprechens sind beispielsweise das Versprechen der Eltern, einem Bruder in Not, einer armen oder kranken Schwester, einem bestimmten Nachbarn oder Verwandten oder Freund oder Kollegen Wohltätigkeit zukommen zu lassen oder eine bestimmte wohltätige Sache zu unterstützen. Es ist Teil der Ehrerbietung gegenüber den Eltern, solche guten Taten nach ihrem Tod fortzusetzen, solange dies keine Sünde beinhaltet.